TBHB 1947-06-12
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1947-06-12 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 12. Juni 1947. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1] Früh um 1/2 6 Uhr Abfahrt mit dem sogen. „Fischland=Express“, ein altes Lieferauto, in dem zwei Bänke längsseit stehen u. in dem man nur gebückt stenen kann. Der Wagen wurde gleich in Ahrenshoop voll, nahm aber dessen ungeachtet unterwegs immer noch mehr Leute auf, sodaß eine fürchterliche Enge herrschte. Nachdem wir kurz vor Ribnitz eine Reifenpanne hatten, kamen wir um 7 Uhr am Bahnhof Ribnitz an u. gingen von dort zum ehemaligen Kloster. Vor der Kirchentür stand eine alte Flüchtlingsfrau aus dem Sudetenlande, die wir nach dem Gottesdienst fragten u. die die Gelegenheit benutzte, uns anzubetteln, was wir natürlich gern u. zu ihrem Erfolge geschehen ließen. Wir gingen dann noch spazieren, da der Gottesdienst erst um 8 Uhr anfing.
Die Kirche u. die sonstigen Baulichkeiten des ehemaligen Klosters, welches heute ein Stift für alte Damen, meist adelige, ist, sehen von außen überaus anheimelnd aus, aber innen ist die Kirche ein scheußlicher Raum mit weiß gekalkten Wänden u. häßlichen Emporen u. Einbauten u. einer sehr häßlichen hölzernen Altarwand in einer verlogenen Gotik. Ueber dem Altar ist ein nicht schlecht gemaltes, aber langweiliges Christusbild mit goldenem Kelch, rotem Gewand u. blauem Mantel. Links an der Wand ist das sehr große Grabmahl der letzten Aebtissin Ursula von Ribnitz, einer Schwester oder Tocher des Herzogs von Mecklenburg, die lange über die Reformation hinaus das Kloster katholisch erhalten hat. Sie liegt dort begraben. Ueber einem Sarkophag, auf dem die Tote liegt, – sehr kunstlos –, erhebt sich eine dekorative Architektur mit plastischen Figuren u. dem Stammbaum der Toten, alles sehr kunstlos u. platt. Die ganze Kirche wirkt kalt, unfreundlich u. verschmutzt.
Dr. Rudlof hielt eine Stille Messe, bei der wir kommunizierten. Anschließend las P. Beckmann eine stille Messe, der wir ebenfalls beiwohnten. Als dritter las dann der alte Dechant Pich, der s. Zt. hier in Wustrow war, u. der gestern in Wustrow zum Besuch seiner dortigen Verwandten aus dem Sudetenlande gewesen war u. mit dem Dampfer gekommen war, ebenfalls eine Messe, doch gingen wir mit P. Beckmann zum neuen kathol. Pfarramt. Es liegt in der Langen Straße unmittelbar bei der Stadtkirche zur ebenen Erde. Es ist ein ehemaliger Laden sehr klein, u. eine dahinter liegende Wohnung, in der P. Beckmann ein größeres Zimmer bewohnt, welches unmittelbar an den Laden anschließt u. ihm als Schlaf= Wohn= Eß= Arbeits= u. Sprechzimmer dient. Die dahinter liegenden kleinen Zimmer werden von der vierköpfigen Familie des Dr. Rudlof [2] bewohnt, der selbst aber wo anders wohnt.
Wir frühstückten im Zimmer von P. Beckmann, hatten uns Kaffee in Thermosflaschen u. Brote mitgebracht u. besichtigten dann den ehemaligen Laden, der sehr hübsch u. geschmackvoll zu einer kleinen Kapelle umgewandelt worden ist. Diese Kapelle soll des Wochentags den beiden Herren dienen u. den wenigen Leuten, die werktags zur Messe kommen. Dafür ist die Kapelle ausreichend u. man ist wenigstens wochentags frei von der protestantischen Gastfreundschaft. Nur an Sonn= u. Feiertagen wird der Gottesdienst in der Klosterkirche gehalten.
Martha hatte bis zum Mittag allerhand in Ribnitz zu erledigen, ich selbst blieb im Pfarrhause u. las in den „Stimmen der Zeit“. Mittags kamen dann der Vertreter des Bischof, Herr Dr. Schräder aus Schwerin, ferner der Herr Dechant aus Rostock, der die Einweihung der Kapelle vornehmen sollte, sowie Herr P. Beyer S.J. aus Rostock u. Herr P. Dross. Später kam auch noch Herr Pfarrer Kolodzig aus Marlow an, zu dessen Amtsbezirk Ribnitz bisher gehörte, sodaß insgesamt acht geistliche Herren zugegen waren. Mit Ausnahme des Pfarres K. aus Marlow waren wir alle Mittagsgäste der Pfarrei, die ein erstaunliches Essen aus weißen Bohnen bot. Ich saß mit P. Dross zusammen am untersten Ende der großen Tafel u. freute mich über sein allzeit fröhliches u. ungezwungenes Wesen.
Um 2 Uhr fand dann die Einweihung statt. P. Beckmann leitete alles mit großer Ruhe u. Ueberlegenheit. Es wurde kräftig gesungen, da hierzu auch noch andere Katholiken zugegen waren u. P. Beckmann las nach einigen Gebeten einen Abschnitt aus der Geh. Offenbarung. Sodann hielt P. Dross eine herzliche u. schlichte, ungezwungene Predigt u. der Dechant aus Rostock nahm dann die Einweihung vor. Darauf wurde das Allerheiligste in der Monstranz ausgesetzt u. der sakramentale Segen in der üblichen Form erteilt. –
Anschließend gab es wieder eine Kaffeetafel mit Kuchen, Cigaretten u. einigen Cigarren. Herr Dr. Schräder u. P. Beckmann hielten kurze Reden. Ich ließ durch P. Dross anfragen, ob auch ich eine kleine Rede halten dürfe u. sprach, da mir das Herz voll war, kurz, aber offenbar so gut, daß alle meinen Worten durch spontanes Händeklatschen ihren Beifall zollten. Ich freute mich, daß mir dies so gut gelungen war, da ich vorher garnicht auf den Gedanken gekommen war, eine Rede zu halten u. ganz aus der augenblicklichen Eingebung sprach.
Wir waren dann alle in sehr angeregtem Gespräch zusammen, bis die Rostocker, bzw. Schweriner Herren abfahren mußten. Pfarrer K. aus Marlow u. Herr Dechant Pich blieben länger, letzterer bis ganz zuletzt, da er den Abendzug nach Stralsund benutzte. P. Beckmann brachte uns zum Bahnhof, von wo wir wieder mit dem „Fischland-Expreß“ zurückfuhren u. um 10 Uhr abends wieder zuhause waren.
[3] Ein Gespräch sei noch vermerkt. Es hat irgendwo, ich glaube in Berlin, eine Konferenz geistlicher Herren stattgefunden, an der auch der Bischof Münch teilgenommen hat. Dieser ist Amerikaner u. Beauftragter des Hl. Vaters in Deutschland. Es ist darüber gesprochen worden, auf welche Weise die deutschen Geistlichen zu schwarzem Tuch kommen könnten, um sich Anzüge machen zu lassen. Bischof Münch hat darauf gesagt, daß nicht einmal er selbst als Amerikaner aus Amerika schwarzes Tuch beziehen könne, daß alle Amerikanischen Spinnereien ausschließlich mit der Herstellung von Uniformstoffen beschäftigt seien u. andere Stoffe nicht hergestellt würden. Also rüstet Amerika für einen Krieg. – Dazu paßt der Bericht eines Seemannes, der von Hamburg schwarz über die Grenze gekommen ist u. eben im „Fischland-Expreß“ mitfuhr. Er berichtete, daß in Hamburg mächtige 10000 Tonnen-Dampfer aus Amerika voll von Mehl ausgeladen würden daß aber gleichwohl die Bevölkerung nichts zu essen hätte. Er erklärte das damit, daß dieses Mehl eben für den Krieg aufgespeichert würde. –