TBHB 1947-04-08
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1947-04-08 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 8. April 1947. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1] Heute morgen mußte ich den Hahn schlachten, es ging nicht mehr mit ihm. Es war mir sehr schmerzlich.
Nach Tisch ging ich zu Frau Longard, die ich in einem überaus bedenklichen Zustande antraf. Sie saß völlig apatisch in ihrem Liegestuhl, das Gesicht eingefallen mit offenen Augen, den Blick jedoch zur Seite gerichtet. Sie sah mich nicht an, obgleich sie es wohl verstand, als Erna ihr sagte, daß ich gekommen sei. Das Gesicht war so verändert, der Mund so eingefallen, wie ich sie noch nie gesehen habe. Ich war sehr erschüttert. Ich hatte mir in dem von mir täglich benützten Gebetbuch eine Reihe von sehr schönen Gebeten angemerkt, die ich ihr vorbeten wollte, aber ich war im Zweifel, ob sie mich überhaupt hören würde. Schließlich versuchte ich es doch. Da ging sehr bald eine starke Veränderung mit ihr vor. Gesicht u. Blick belebten sich, der Mund wurde wieder normal u. während sie vorher alle paar Minuten gegähnt hatte, war sie jetzt ganz Aufmerksamkeit. Ich betete ganz langsam mit großen Pausen, um ihr Zeit zu lassen, jeden einzelnen Gedanken in sich ausreifen zu lassen. So betete ich wohl eine Stunde. Danach war sie ganz lebhaft. Sie versuchte, zu sprechen, sie dankte mir u. sagte etwas von ihrer Sterbestunde u. daß sie –, wenn ich sie recht verstanden habe –, den Wunsch [2] hätte, ich möchte in ihrer Sterbestunde bei ihr sein u. mit ihr beten. Sie wiederholte das zwei oder drei mal. Dann drückte sie mir zweimal die Hand mit einer solchen Kraft, daß ich darüber überrascht war.
Es ist immer noch sehr kalt draußen, das Meer liegt noch voller Eis, man friert mehr jetzt als im Winter, da wir die Heizung nicht mehr anmachen wegen Holzmangels.
Fritz fährt morgen nach Berlin, um das Care=Paket zu holen. Fahrkarten nach Berlin kann man nur in Stralsund oder in Schwerin bekommen. Da sie nur in beschränkter Anzahl ausgegeben werden, kann es passieren, daß Fritz einen Tag in Schwerin sitzen bleibt. – Diese Russen quatschen vom Wiederaufbau der Wirtschaft, machen aber gleichzeitig das Reisen fast unmöglich u. Briefe von hier nach Bln. brauchen 14 Tage bis 4 Wochen. Ihre Reden vom Wiederaufbau ist nichts als heuchlerisches Gerede u. die Leute von der SED. machen das mit, nein, sie überbieten noch die Russen. Und auf der Moskauer Konferenz, die nun schon 4 Wochen tagt, ist bisher noch über keinen einzigen Punkt eine Einigung erzielt worden.