TBHB 1947-03
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1947-03 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom März 1947. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 15 Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1] Die Temperatur war heute milde, wir hatten mittags nur 1° Kälte, doch schneite es, wenn auch nur leicht, so doch bei starkem Wind, der aus Süden kam, d.h., der neue Schneeverwehungen verursachte. Jetzt, in der Nacht, ist der Wind noch stärker geworden u. ich sah eben, daß auch das Schneetreiben zugenommen hat. Der Verkehr zwischen uns u. dem Festlande ist völlig unterbrochen.
Herr Schelper, Justus Schmitt u. Arthur Hoppe sind aus Ribnitz hier angekommen, letzterer seit drei Jahren in italienischer Gefangenschaft, bzw. bei der deutschen Armee. Justus Schmitt war aus Berlin gekommen. Herr Schelper war in Rostock gewesen, um irgend welche Sachen von dort zu holen u. lag schon drei Tage lang in Ribnitz fest. Alle drei entschlossen sich, zu Fuß über den Bodden zu gehen. Sie hatten sich einen Schlitten beschafft, auf den sie ihr Gepäck gelegt hatten u. den sie hinter sich her zogen. Sie haben für den Marsch angeblich sieben Stunden gebraucht. – Justus Schmitt habe ich selbst noch nicht gesprochen, er wird morgen bei uns essen.
Am Nachmittag war Dr. Burgartz hier, der Andeutungen machte über die feindseligen Gefühle, die Herr v. Achenbach u. Peter Erichson gegen mich hegen u. die die Stärke von Haß haben sollen, ohne daß ich die Gründe dieses Hasses kenne. [2] Ich bedaure diese Herren u. werde sie Gott empfehlen.
Die Lektüre der „Seelenburg“ begonnen. Abends Briefe von Franz von Sales. –
Bezüglich des Rauchens habe ich einen neuen Standpunkt gewonnen. Ich sehe, daß es mir nicht gelingt, das Rauchen ganz einzustellen, ich bin zu schwach dazu, vor allem, weil ich ja noch Tabak habe u. damit die Gelegenheit. Ich gebe es auf, mir den Tabakgenuß abgewöhnen zu wollen auf die Art, daß ich mir das Rauchen verbiete oder darauf warte, daß mir der Tabak u. damit die Gelegenheit ausgeht. Ich sehe ein, daß ich dazu zu schwach bin u. erkenne in Demut diese meine Schwäche. Ich erkenne aber auch, daß das Rauchen eine Gewohnheit ist, die meine Freiheit einschränkt u. mich an die Erde fesselt u. mich somit an der Erhebung zu Gott hindert. Ich erkenne, daß das Opfer dieser Gewohnheit Leiden bringt, – u. dieses ist es grade, was von mir gefordert wird. Es kommt garnicht so sehr darauf an, daß ich mir das Rauchen abgewöhne, obgleich das erwünscht wäre, sondern es kommt darauf an, daß ich eine Gelegenheit habe, mir ein Kreuz aufzuerlegen, vorzüglich in dieser Fastenzeit. Die Gewohnheit des Rauchens ist dazu ein ausgezeichnetes Mittel. Diese Gewohnheit ist also direkt etwas Gutes, da sie mir Gelegenheit gibt, ein Kreuz zu tragen. Von diesem Standpunkt werde ich diese Sache von nun an betrachten. Ohne mich gewaltsam zu zwingen, überhaupt nicht mehr zu rauchen, wozu ich eben doch zu schwach bin, werde ich mehrmals am Tage, u. zwar möglichst oft, auf diese Gewohnheit verzichten. Vielleicht wird mir der Herr dann die Gnade schenken, daß ich an dem Leiden, das ich dabei empfinde, allmählich so viel Gefallen finde, daß ich schließlich mich ganz von dieser Gewohnheit löse. Möge der Herr mir in dieser Sache beistehen. Jedenfalls habe ich aus dem vergeblichen Kampf gegen diese Gewohnheit, den ich nun schon seit einigen Monaten kämpfe, den Vorteil bis jetzt gezogen, daß ich schwach bin. Meine großtuerische Meinung, die ich früher über diese Sache hegte, daß ich mir einfach das Rauchen selbst verbieten könnte, ist verschwunden u. ich sehe in Demut ein, was an mir ist. Möge der Herr mir helfen!
Vormittags hörte ich im Nordwestdeutschen Rundfunk das Fragment einer hl. Messe, so weit u. so lange es der elektr. Strom zuließ. Mittags war Justus Schmitt unser Gast, der in der leichten u. schöngeistigen Art, die ihm eigen ist, über kulturpolitische Dinge sprach u. sich nachher meine neuen Bilder ansah. Nachmittags las ich etwas in der „Seelenburg“ u. abends beendeten wir die Lektüre der Briefe des hl. Franz von Sales. Ich sehe aus Anmerkungen dieses Buches, daß es im Französischen bis jetzt 20 Bände der Schriften dieses Heiligen gibt. Es ist merkwurdig, daß davon in Deutschland fast nichts bekannt ist, mir wenigstens sind bisher nur diese Briefe u. die Philothea zu Gesicht gekommen. –
Das Wetter ist hoffnungslos! Nachdem es gestern etwas wärmer war, ist es heute wieder sehr kalt geworden, diese Nacht wird wieder besonders kalt sein. [3] Die Schneeverwehungen sind derart, daß man nicht von hier nach Wustrow gehen kann, es sei denn, man ginge über das Eis des Boddens. Aber wenigstens ist es heute windstill, sodaß wenigstens das Haus warm ist, sofern man das Glück hat, Feuerung zu besitzen, was bei uns der Fall ist. Gott sei dafür gedankt! –
Heute war das Wetter milde, Temperatur, um 0° herum, dabei Windstille. –
Justus Schmitt wieder zum Mittagessen bei uns.
Der Frost ist vorbei. Gott sei Dank! Zwar ist es auch tagsüber nicht viel mehr als 0°, aber wir atmen doch erleichtert auf. Nach der Wetterlage kann man mit einem langsamen Temperaturanstieg rechnen.
Heute habe ich, angeregt durch das wärmere Wetter, welches das Aufstehen am frühen Morgen erleichtert, angefangen, die Morgenstunden wieder zur Betrachtung u. zum Gebet zu verwenden. Ich bin um 7 Uhr aufgestanden u. habe die Zeit bis zum Frühstuck um 9 Uhr in dieser Weise gut verwendet. Dies werde ich nun wieder beibehalten. Dadurch bekommen alle Gebetsübungen den ganzen Tag hindurch ein festes Fundament u. das ist überaus wohltuend. Ich halte die Gebetszeiten Mittags, Nachmittags u. Abends so viel besser ein.
Es ist weiterhin milde, aber noch kein Tauwetter. Mittags Justus Schmitt bei uns zum Essen. – Morgen früh fahren Martha u. Fritz zur Leipziger Messe, wir müssen um 1/2 6 Uhr aufstehen.
Ueber Nacht war ein heftiger Nord-Ost aufgekommen. Nachdem wir gefrühstückt hatten, machten sich Fritz u. Martha bereit, gingen zu Knecht, um das Auto von Johannsen zu erwarten, mit ihnen viele andere Menschen, doch kam Johannsen nicht. Nachdem alle vom 7 – 8 Uhr vergeblich gewartet hatten, kam die Nachricht, daß Johannsen bei der Post angerufen hatte, er stecke in Dähndorf fest u. könne nicht weiter. – Fritz, der ganz versessen darauf war, nach Leipzig zu kommen, ging zu Ziemeck, um ihn zu der Fahrt zu veranlassen, da dieser gestern Abend noch den Weg von Ribnitz hierher mit seinem 1 1/2 Tonner ohne wesentliche Schwierigkeiten gemacht hatte. Er erklärte sich zur Fahrt bereit, doch mußte Fritz seinen den ganzen Krieg hindurch sorglich gehüteten Schatz von 5 ltr. Benzin dazu opfern. Um 9 Uhr fuhr er los mit Martha u. Frau Kuhrt, die vorn geschützt beim Führer saßen, auf dem offenen Wagen waren Fritz u. Herr Strohschnitter, der ebenfalls nach Leipzig wollte. – Sie sind bis Dierhagen gekommen, von da an waren die Verwehungen so stark, daß Ziemeck nicht mehr weiter fahren wollte, denn sie mußten dauernd über den Acker fahren infolge der Verwehungen auf der Chaussee. Wohl in Wustrow hatte sich ihnen ein [4] größerer Lastwagen zugesellt. Als Ziemeck streikte, stiegen Fritz u. Strohschnitter auf den großen Lastwagen um u. Ziemeck fuhr zurück u. nahm Martha mit. Gott sei Dank! – Denn inzwischen hatte sich der Nord-Ost zum Sturm gesteigert u. ein heftiges Schneewetter hatte eingesetzt. Es schneite einen feinen Schnee, der vom Sturm getrieben wurde. So kam es, daß auch Ziemeck nur zurück bis zur Molkerei Wustrow kam. Von da an mußte Martha zu Fuß weiter. Sie machte bei Frau Stricker in Althagen Station, wo sie das Gepäck stehen ließ. Gegen 3 Uhr nachmittags kam sie körperlich u. seelisch total erschöpft hier an u. legte sich gleich ins Bett. Jetzt, am Abend nach der Stromsperre, war sie wieder auf u. ich gab ihr zwei Tassen kräftigen Grog, den sie trank, aber dann ging sie wieder ins Bett. Ich bin froh, daß sie wieder hier ist, denn ich glaube nicht daran, daß Fritz nach Leipzig kommt. Es hat ununterbrochen geschneit, es schneit zur Stunde noch u. es scheint nicht, daß es so bald aufhören wird. Der Nord-Ost hat erst jetzt am späten Abend etwas an Stärke nachgelassen, doch weht es immer noch heftig. – Es ist wirklich, als ob die ganze Hölle losgelassen wäre. Es herrscht in ganz Deutschland ein unbeschreibliches Elend. Ein Strafgericht Gottes – doch merken es die Menschen nicht, es ist alles wirklich völlig hoffnungslos, wenn es nicht noch etwas anderes gäbe als diese elende Welt. – Heute berichtet das Radio über die Reisen der verschiedenen Außenminister zur Konferenz in Moskau, die am 10. März beginnen soll. Die Völker wollen Frieden, die Politiker wünschen Frieden; aber Satan hat seine Macht u. es wird keinen Frieden geben! –
Von Ruth ein guter Brief. Sie ist nun die erste Vorsitzende des Aerztevereins von Regensburg, desgleichen desselben Vereins der Oberpfalz u. Mitglied der Landes=Aerztekammer in München, u. ist dabei doch bescheiden. Gott möge sie schützen u. segnen. Welch großer Unterschied gegenüber Fritz der sich in alberne Eitelkeiten verliert. Ruth steht fragend u. forschend vor dem Tor des Glaubens, das sich ihr noch nicht geöffnet hat, aber sie denkt nicht daran, fort zugehen, ehe es sich auftut. Fritz dagegen verschludert, sich in Eitelkeit u. Flachheit u. bildet sich noch dazu ein, etwas zu sein u. zu leisten. Er ist für mich eine sehr tiefe Enttäuschung. Möge auch ihn Gott schützen! -
Heute war tagsüber 1 – 2° Wärme, was jedoch bei dem hohen Schnee u. der Vereisung des Meeres u. des Boddens keinerlei Wirkung hatte. Am Nachmittag sank die Temperatur wieder ab u. der Wind, der ganz eingeschlafen war, kam wieder auf. Jetzt um 12 Uhr nachts weht es wieder recht kräftig, wie mir scheint aus Westen oder Nordwesten u. es hat wieder neu zu schneien begonnen. Die Treppe zu unserem Hause ist so tief verweht, daß man sie nicht benutzen kann, sie frei zu schaufeln, würde für mich eine zu große Anstrengung sein, u. so lasse ich sie, wie sie ist. Nach dem Radio ist an Tauwetter noch nicht zu denken, aber dafür an viel mehr Schnee. [5] Fritz hat bei der Post angerufen. Er ist in Rostock gestern Abend angekommen u. heute Morgen nach Leipzig weitergefahren.
Die Außenminister der Mächte befinden sich auf dem Wege nach Moskau, bzw. sie sind dort bereits angekommen. Die Russen haben deutsche Journalisten nicht zugelassen „wegen Unterbringungs-Mangel“. Armes Moskau, das nicht einmal Wohnraum für ein Dutzend Journalisten hat! Es ist zum lachen. –
Heute beendete ich die Lektüre der „Seelenburg“. Abends lese ich den „Weg der Vollkommenheit“ vor. Die hl. Theresia ist eine große Lehrerin des Gebetes, deren Führung ich mich jetzt ganz anvertraue. Besonders die Gebetsstunde morgens früh ist mir sehr nützlich, obwohl ich mich da mit der Betrachtung nicht aufhalte, weil ich dazu weder eine Neigung habe, noch weil ich recht weiß, wie ich das anstellen soll, ohne eine sehr große Anstrengung des Verstandes. Ich nehme mir an Stelle einer solchen Betrachtung das Buch von Guardini „Der Herr“ u. lese sehr langsam u. betrachtend jeden Morgen ein Kapitel daraus. Da auch die hl. Th. von sich sagt, daß sie anfangs nicht ohne Buch hätte betrachten können, nehme ich an, daß eine solche Art, die Betrachtung zu üben, auch von ihr gebilligt werden würde, jedenfalls kann es ja nicht schaden.
Heute Nacht war wieder Frost um 10°, doch wurde es morgens rasch wärmer bis 1° über Null bei Süd=West mit neuem Schneefall. Die beiden Sudetendeutschen Kuhn u. Menzel haben die Treppe vor unserem Hause ausgeschaufelt, wo der Schnee fast einen Meter hoch lag, doch ist am Abend alles wieder zugeschneit. Nach dem Radio ist zwar mit milderem Wetter zu rechnen, aber noch nicht mit Tauwetter.
Von der hl. Therese lese ich die Abhandlung über die Liebe nach Stellen aus dem Hohen Liede. Auch dies ist wieder sehr schön. Ich bin völlig gefangen von dieser Frau. – Abends mit Martha Kreuzweg von Guardini, – nachher „Weg der Vollkommenheit“. Martha ist garnicht wohl, sie hatte letzte Nacht schwere Träume. Gott sei Dank, daß sie nicht nach Leipzig gefahren ist, sie sieht nun endlich ein, daß sie sich solche Anstrengungen nicht mehr leisten kann.
Mittags aß Justus Schmitt bei uns.
Es war heute klares Sonnenwetter. In der Sonne zeigte das Thermometer 10° Wärme, im Schatten 1° Kälte, aber abends um 6 Uhr waren bereits wieder 5° Kälte.
An Ruth schrieb ich einen sehr langen Brief als Antwort auf den kürzlich erhaltenen. Ich schrieb ihr über Fritz u. hoffe, daß sie ihn richtig versteht.
Morgen beginnt die Moskauer Konferenz. Die Parteien in Deutschland haben eine intensive Propaganda-Tätigkeit entfaltet, ebenso der Nordwestdeutsche Rundfunk.
Ein schöner ruhiger Sonntag mit viel Lektüre der hl. Theresia. Mein Raucherbedürfnis hat in dieser letzten [6] Zeit ganz entschieden abgenommen u. ich führe das auf diese Beschäftigung mit der hl. Th. zurück. Sollte es doch noch gelingen, diese lästige Gewohnheit mit der Hilfe dieser Heiligen los zu werden? Es scheint so! –
Heute früh waren 14° Kälte! Am Tage war es dann milde, mittags etwa 1° Kälte, aber am Abend nahm die Kälte rasch wieder zu. Das Radio verkündet aber heute Abend einen entschiedenen Wetterumschwung, der sich bei uns aber wohl erst übermorgen auswirken wird. – Heute früh war starker Rauhreif, eine Erscheinung, die hierzulande sehr selten vorkommt, wahrscheinlich, weil die Luft meist zu bewegt ist, – es war in der Nacht absolute Windstille. Gegen Abend hat sich wieder Ostwind aufgetan.
Die Schriften der hl. Theresia habe ich jetzt durchgelesen mit Ausnahme der Briefe, die ich nach u. nach in kleinen Abschnitten lesen will. Die anderen Schriften habe ich hintereinander gelesen, jede Abhandlung zwei bis drei mal u. öfter, sodaß ich nun eine ziemlich gründliche Kenntnis habe. Ich habe sehr viel daraus gelernt. Den „Weg der Vollkommenheit“ lese ich abends noch Martha vor. Ich schließe nun gleich ein Studium der Schriften des hl. Johannes vom Kreuz an, dessen „Aufstieg zum Berge Karmel“ ich vor mehreren Jahren schon einmal sehr gründlich u. mühselig gelesen habe. Ich nehme an, das ich dieses Buch, mit dem ich beginne, jetzt besser verstehen werde als damals. Ich habe heute ein weit besseres Verständnis für Abtötung u. Losschälung wie damals, als mir die körperliche Sinnlichkeit noch sehr viel zu schaffen machte. Davon ist heute eigentlich nur noch die Lust am Rauchen übrig geblieben, abgesehen von einer gewissen Bequemlichkeit die aber wohl in Ansehung meines Alters u. meines allgemeinen Körperzustandes nach den schweren Krankheiten milde zu beurteilen ist. Was das Rauchen betrifft, so ist es damit besonders in letzter Zeit unter der Einwirkung der hl. Th. sehr viel besser geworden. Das Problem wird sich nun von selber lösen, da der Tabak alle ist. –
Justus Schmitt aß heute zum letzten Male bei uns. Er ist schließlich doch ein recht oberflächlicher Intellektueller. Er hatte mir drei Hefte „Frankfurter Hefte“ mitgebracht, die ich ihm heute jedoch ungelesen zurück gab, da ich mich nicht entschließen konnte, die Lektüre der hl. Th. wegen solcher Artikel zu unterbrechen. Ich habe schon seit Wochen weder eine Zeitung noch eine Zeitschrift mehr gelesen, es genügen mir die 15 Minuten Nachrichten des Nordwestdeutschen Rundfunks jeden Abend, um mich über das Geschehen in der Welt zu informieren. Danach hat heute die Moskauer Konferenz begonnen, deren erstes Ergebnis der Beschluß einer Auflösung Preußens ist. Mir ist das völlig gleichgültig. –
Die Witterung war heute milder, aber von Tauwetter war noch keine Rede. – Fritz ist aus Leipzig zurückgekehrt. Nach dem, was er von dort berichtet, ist diese ganze Messe ein einziger großer Bluff, zu kaufen gibt es dort so gut wie nichts.
Einer von den Sudetendeutschen ist gestorben, ein gewisser Franz Anders, Bäcker aus der Gegend von Trautenau, 44 Jahre alt, wahrscheinlich Herzschwäche. Er wohnte [7] mit seiner Schwester in einem Zimmer des Hauses Gerresheim u. man sagte, daß die beiden furchtbar dreckig u. schluderig seien. Herr Degner war bei mir u. bat mich, die Beerdigung zu machen, da der Mann katholisch war. Man will die Leiche in das Haus am Meer bringen, das jetzt ja wieder ganz leer steht, denn bei Gerresheim kann sie nicht gut bleiben. Ich sagte zu, am Donnerstag um 3 Uhr nachm. die Beerdigung vorzunehmen, da es völlig ausgeschlossen ist, daß P. Beckmann dazu hierher kommen kann, der Weg ist nach dem, was Fritz sagt, nach wie vor fast unpassierbar. Ich habe aber unserer Frau Hanschuch aufgetragen, heute abend bei Dr. Thron in Ribnitz anzurufen, daß dieser P. B. wenigstens informiert.
Am Nachmittag war die Schwester dieses Franz Anders bei mir. Sie sieht in der Tat überaus dreckig u. schluderig aus, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß sie z. Zt. eine Blulvergiftung an der linken Hand hat, weshalb sie in ärztlicher Behandlung ist. Die Hand kann sie nicht gebrauchen u. das mag den Dreck einigermaßen entschuldigen. Aber diese, etwa 40 jährige Frau hat ein höchst interessantes Gesicht mit fast edlen Zügen. Es scheint aber so, als wäre sie mit ihrem Verstande nicht ganz beieinander. Es scheint, als wäre sie eine gottergebene Person, die sich über nichts beklagt u. alles hinnimmt, wie Gott es schickt.
Die Witterung ähnlich wie gestern, in der Nacht jedoch wieder verstärkter Frost. Tagsüber schöner Sonnenschein, im Schatten jedoch 1° Kälte. Der Nordwestdeutsche Rundfunk, der am Montag einen Witterungsumschwung vorausgesagt hatte, erklärt heute sehr kleinlaut, daß mit einer Wetteränderung vorerst nicht zu rechnen sei.
Nachmittags 3 Uhr Beerdigung des Franz Anders. Es war heute wieder recht kalt, bedeckter Himmel u. scharfer Nord-Ost. Zur Beerdigung waren ziemlich viele Sudetendeutsche gekommen, darunter auch viele Männer, sonst auch Herr + Frau Degner u. Bürgermstr. Schröter, was wirklich sehr anerkennenswert ist. Ich sprach den Psalm 129 u. nachher Psalm 50 u. hielt eine kurze Ansprache aus dem Stegreif. Während ich sprach, begann es draußen zu schneien. Ich hielt die Feier in Anbetracht der Kälte möglichst kurz. Der Sarg wurde dann von den Trägern zum Friedhof getragen durch den hohen Schnee bei starkem Schneetreiben. Am offenen Grabe segnete ich noch die Gruft u. sprach das Salve regina. –
Es schneite u. wehte dann weiter bis zum Abend. Aus dem Rundfunk erfuhr ich, daß in der Westzone Tauwetter eingetreten ist, sodaß auch für uns morgen solches erwartet werden kann. Der Matsch wird dann unvorstellbar werden. Am kommenden Sonntag wollte P. Beckmann hier Gottesdienst halten, woran aber nicht zu denken ist, mag es nun weiter frieren oder tauen, die Wege sind in jedem Falle unpassierbar.
Hochinteressant ist eine entschiedene Kursänderung der amerikanischen Außenpolitik, die heute in Rundfunk zum ersten Male erkennbar wurde. Diese besteht [8] in einer entschiedenen u. energischen Wendung Amerikas gegen Rußland, der sich natürlich England anschließen wird. Frankreich wird sich sehr überlegen müssen, ob es nun weiterhin seine kommunistenfreundliche Richtung behalten will. Gott sei Dank, daß nun endlich Rußland energisch entgegengetreten wird. Dies war also der Grund des Wechsels im amerikan. Außenministerium. Man darf gespannt sein, wie sich das alles auf die Moskauer Außenminister-Konferenz auswirken wird. Vielleicht wird sie hochgehen?
Heute früh waren 3° Wärme mit Regen, der alles mit einer dicken Eisschicht überzog. Am Nachmittag wurde es wieder kälter, abends um 7 Uhr waren wieder 2° Kälte.
Die Russen toben gegen Amerika, weil dieses den Griechen u. den Türken eine sehr große Anleihe gegeben hat u. dadurch die Selbständigkeit dieser beiden Länder vernichtet hätte. Man muß lachen über diese russische Sorge um die Selbständigkeit der Griechen u. der Türken, aber in Moskau ist offenbar dicke Luft. Die Russen haben in ihrer Besatzungszone die Heilsarmee verboten, sie fühlen sich offenbar dadurch militärisch bedroht. Aus solchen Dingen, die schon die Lächerlichkeit streifen, fühlt man deutlich die Schwäche Rußlands, die wahrscheinlich viel größer ist, als man denkt.
Abends mit Martha Kreuzweg (Guardini). Fritz war da u. ich fing absichtlich mit dem Gebet an, solange Fritz noch da war. Er wußte nicht, was ein Kreuzweg ist u. er bekam so die ersten sechs Stationen mit, bis er ging. Es war sehr gut so.
Der „Aufstieg zum Berge Karmel“ ist eine überaus schwierige Lektüre. Es ist darin sehr viel mehr Gelehrsamkeit, als in den Schriften der Hl. Theresia, die unmittelbar das Herz u. das Gemüt berühren. Bei Johannes vom Kreuz muß man sich erst durch die Gelehrsamkeit hindurcharbeiten, bis man auf den Kern der Sache kommt. Ich mache mir deshalb zu jedem Kapitel einen kurzen Auszug u. finde so den Leitfaden.
Immer noch kein Tauwetter, obschon heute wieder Sonnenschein war u. in der Sonne es ganz schön warm war. Sonst nichts von Belang.
Niemand hatte erwartet, daß bei den gegenwärtigen Zuständen der Wege heute der Gottesdienst stattfinden würde, der vor drei Wochen für heute festgesetzt gewesen war. Zu meiner u. unser aller größter Ueberraschung ließ aber Herr Dr. Rudlof heute früh telephonisch mitteilen, daß er trotzdem kommen würde. Tatsächlich traf er um 5 Uhr nachmittags hier ein, nachdem er morgens in Dierhagen u. Mittags in Wustrow Gottesdienst gehalten hatte. Ich hatte mit der Sudetendeutschen Frau Menzel, die eine sehr gute Frau ist, am Nachmittag die Veranda im Seezeichen hergerichtet. Die Beteiligung war sehr stark, es waren viele Männer da u. ich darf mir schmeicheln, daß meine eindringlichen Mahnungen bei der Beerdigung des Franz Anders gut gewirkt haben. Das Hochamt begann pünktlich um 6 Uhr u. um 7 Uhr machte sich Dr. R. schon wieder auf den Weg nach Ribnitz zurück. Es ist wirklich heldenhaft, was diese beiden Geistlichen leisten. P. Beckmann will in der kommenden Woche oder in der nächsten für drei Tage herkommen, [9] um Herrn Triebsch noch die letzten Unterweisungen zu geben u. am Ostersonntag soll um 9 Uhr früh hier Oster=Hochamt stattfinden. Das ist mehr, als wir irgend, erwarten können u. ich weiß nicht, wie ich diesem guten Pater nächst Gott danken soll für die Liebe, die er uns hier entgegenbringt. – Herr Dr. R., der eigentlich ein unbeholfener Prediger ist, sprach eine aus tiefstem Herzen kommende Ansprache über die Not der Flüchtlinge unter der er selbst u. seine Familie ja ebenso zu leiden hat wie alle. Er verband dieses Thema mit einer Rede über den hl. Vater, der am 2. März Geburtstag gehabt hat u. am gleichen Tage im Jahre 1939 zum Papst gewählt wurde, am 19. März gekrönt wurde. Seine Ansprache ging allen sehr zu Herzen, sodaß sehr viel geweint wurde. Die Feier war sehr stimmungsvoll, es war schon dämmerig, nur die beiden Kerzen auf dem Altar gaben ihr Licht. Ich selbst war sehr ergriffen u. ich fühlte die Gegenwart des Herrn sehr lebhaft. – Ich hatte den ganzen Sonntag in innerer Sammlung auf diesen Gottesdienst hin verbracht.
Es herrscht weiter Tauwetter, aber sehr schwach, Nachts friert es immer wieder. Hoffentlich ist Dr. R. ohne Unfall nachhause gekommen, doch habe ich die Ueberzeugung, daß der Herr seine Hand über ihn hält. – Gott sei gelobt u. gepriesen! –
Tauwetter auf der ganzen Linie mit Westwind u. Regen. Glatteis. In Berlin Rohrbrüche u. Ueberschwemmungen, ebenso am Niederrhein. –
Gegen Abend besuchte uns Artur Hoppe, der aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft aus Italien zurückgekommen ist u. sich wundert, wie es in Deutschland aussieht.
Weiterhin Tauwetter, aber die Bucht liegt noch voll Eis u. auch der Schnee liegt noch recht hoch.
Fortdauer des Tauwetters, heute 5° Wärme. – Die Lektüre des „Aufstieg zum Berge Karmel“, ist zwar recht mühsam, aber doch sehr interessant. Es muß da doch wohl eine geheime Gegnerschaft zwischen Johannes vom Kreuz u. der hl. Theresia gegeben haben, die auch bei der hl. Th. gelegentlich, wenn auch sehr selten spürbar wird, wenn man darum weiß. Jedenfalls dient die in gewissen Dingen gegenteilige Ansicht des Joh. v. K. mir sehr zur Klarheit. Ich verstehe jetzt vieles besser, was die hl. Th. gemeint hat. –
Gestern sah ich in der Neuen Berliner Illustrierten Bilder von Otto Dix, der neuerdings wieder Professor in Dresden geworden ist, u. war erschüttert über den faustdicken Kitsch, den dieser einst so hoffnungsvolle Künstler produziert. –
Heute versetzte Fritz uns in Sorge, da er plötzlich u. scheinbar ohne sichtbare Ursache von einem sehr heftigen Unwohlsein mit Erbrechen u. Durchfall ergriffen wurde. Er sah sehr schlecht aus. Allmählich stellte es sich heraus, daß er eine Suppe von dicken Bohnen, die wir gestern Abend gegessen hatten u. von der er sich eine Portion mitgenommen hatte, heute früh kalt gegessen hatte. Der Magen hatte sich diese Belastung nicht gefallen lassen. Der Vorfall ist typisch für das triebhafte Leben von Fritz, es geht ihm ganz das Gefühl [10] ab für die Ordnung der Dinge u. Zeiten. Nachdem er sich entleert hatte, erholte er sich rasch. Ich empfahl ihm, einmal den ganzen Tag zu fasten, doch aß er am Abend wieder, als ob nichts geschehen sei.
Gegenwärtig, 1/2 12 Uhr nachts, regnet es draußen, sodaß morgen früh, falls es so weiter regnet, die Hauptmassen des Schnees wohl weggespült sein werden. Nur noch die erheblichen Berge des Schnees werden übrig sein. Auch das Eis auf dem Meere ist ziemlich aufgelockert, nur noch der Uferstreifen ist fest. Der Bodden wird längere Zeit dauern, er ist sehr tief zugefroren.
Martha hat sich erkältet. Ich machte ihr einen Umschlag um den Hals u. gab ihr einen heißen Grog u. eine Tablette. Hoffentlich wird es nicht schlimmer. Wir beteten zusammen den Kreuzweg.
Heute schönes Frühlingswetter mit 12° Wärme mittags in der Sonne, aber auch abends ohne Sonne noch 8° Wärme. Jetzt in der Nacht warmer Regen, sodaß morgen kaum noch Schnee zu sehen sein wird. Die Dorfstraße ist freilich ein unpassierbarer Morast, aber das nimmt man gern in Kauf. Vor dem Hause ist ein großer See.
Martha's Schnupfen ist in vollem Blühen. Habe ihr abends wieder Grog gemacht u. selbst auch einen getrunken.
Fritz benahm sich wieder einmal schlecht. Er hatte einen Zusammenstoß mit Herrn Degner wegen 500,– Rm. die von mir s. Zt. aus der Notgemeinschaft als Spende für das Fischland-Krankenhaus gegeben wurden, die ich dann aber auf Geschäftskonto übernommen hatte, nach dem ich den Fonds der Notgemeinschaft ungekürzt der Gemeinde übergeben hatte. Inzwischen haben die Aerzte in Wustrow das Krankenhaus in eigenen Besitz übernommen u. haben die Spenden, die sie von den Gemeinden erhalten hatten, zurückgezahlt. Die Gemeinde-Verwaltung hatte gedacht, dieses Geld stillschweigend für sich vereinnahmen zu können, wogegen ich protestierte. Ich habe der Gemeinde die 200,– Rm., die wir persönlich damals gespendet hatten, als Geschenk überlassen, habe aber die 500,– Rm. zurückgefordert. Man will nun das Geld nicht gern herausrücken u. darüber ist es zwischen Degner u. Fritz zum Krach gekommen, oder vielmehr nur von Fritz, denn Herr Degner selbst ist ja viel zu schüchtern, um Krach zu machen. –
Einen anderen Aerger hatte ich über Martha, der dadurch kam, daß Fritz anregte, unsere Kartoffelmiete zu öffnen u. die Kartoffeln zu sortieren, die guten in den Keller zu bringen. Herr Brandt hatte ihm dies gesagt. Martha wollte diese Dreckarbeit an einem Sonntag machen lassen. Es ist wirklich schlimm, wie oberflächlich doch letzten Endes Martha's Christentum ist. Sie redet gern davon, daß man aus dem Glauben leben müsse u. oft fühlt man eine recht fatale Ueberheblichkeit bei ihr gegenüber den Glaubenslosen oder denen, die sie dafür hält, aber dann hat sie nicht das geringste Bedenken, eine üble Dreckarbeit am Sonntag machen zu lassen, wodurch die Sonntagsruhe des ganzen Hauses gestört würde. Die Religion ist hier doch recht oft ein Schwelgen in schönen Gefühlen u. schönen Worten, in der Praxis versagt sie. Das hat mich überaus verstimmt. Es ist schwer, ihr das begreiflich zu machen, ohne das Gebot der Liebe zu verletzen. – Wie schwer u. unerfreulich ist doch dieses Leben, ich möchte oft gern davon befreit werden, doch fürchte ich, meine Sünden noch nicht gebüßt zu haben, sodaß ich wiederum froh bin, noch etwas Zeit dazu zu haben.
[11]Als wir gerade das Mittag essen beendet hatten, kam Herr Fenchel mit der Nachricht, daß Frau Longard gestürzt sei, wahrscheinlich ein Schlaganfall. Martha u. ich machten uns sofort auf den Weg, der stellenweise unpassierbar war, da die Straße in Seen von Schmelzwasser unterging. Es waren 15° Wärme. Als wir ankamen, fanden wir die alte Dame im Stuhle sitzend, offenbar linksseitiger Schlaganfall. Sie war hingestürzt, hatte sich dabei aber zum Glück nicht weiter verletzt außer einer leichten Quetschung an der linken Seite der Unterlippe. Die beiden Frl. Horn, Katholikinnen, die bei ihr im Hause wohnen, waren um sie besorgt, vor allem aber ihr altes Mädchen Erna Fenchel u. ihr Mann waren voll rührender Sorge. Frau L. war bei Bewußtsein, sie erkannte uns und sprach ziemlich verständlich. Wir schickten Erna gleich zu Dr. Zabel, der ja nicht weit wohnt. Frau L. war in verhältnismäßig guter Verfassung, soweit es den Geist angeht. Sie fragte, ob ich das Hörspiel im Nordwestdeutschen Rundfunk gehört hätte, welches die Moskauer Konferenz zum Gegenstande hat. Sie wußte, daß der alte Kaiser Wilhelm heute 150 Jahre alt würde u. erzählte dergleichen Dinge, die zeigten, daß sie geistig absolut frisch war. Ueber ihren Zustand war sie sich jedoch wohl nicht klar. Wir wollten sie ins Bett bringen, was sie aber entschieden ablehnte, sie wollte unbedingt im Stuhl sitzen bleiben. Erst nach längerer Zeit war sie einverstanden, daß wir sie wenigstens auf ihrem Liegestuhl betten konnten. Als Dr. Zabel kam, erkannte sie ihn zunächst nicht, was aber mehr auf ihre sehr schlechten Augen zurückzuführen war, da sie so lag, daß Dr. Z. an ihrer linken Seite saß. Dr. Z. war ausgezeichnet. Er stellte sachliche Fragen, klar u. einfach u. ohne Erregung u. ermunterte sie allmählich, den linken Arm u. das linke Bein zu bewegen, was auch ganz befriedigend gelang. Sie hatte sich bereits schon wieder etwas erholt. Dr. Z. stellte die einfache Diagnose auf linksseitigen Schlaganfall, der aber zunächst keine große Gefahr bedeute, es sei, falls nicht neue Komplikationen eintreten, mit einer allmählichen Besserung zu rechnen. Ruhe u. leicht verdauliche, flüssige Kost. Wir gingen dann zu Triebsch, um ihm die Sachlage mitzuteilen, da er gewöhnt ist, täglich zu ihr zu gehen u. sich von ihr im Katholizismus unterweisen zu lassen. Triebsch war Vormittags bei uns gewesen, um sich die letzten Petrusblätter zu holen. Seine Frau ist z. Zt. ebenfalls krank, Unterernährung, Mangel an Vitamin C, wodurch eine Schwellung des Gesichtes u. Entzündungen am Zahnfleisch verursacht werden. Es geht ihr aber bereits besser. Unterwegs trafen wir Margot Seeberg, die wir abhalten konnten, zu Frau L. zu gehen, wozu sie auf dem Wege war. So verbrachten wir den ganzen Nachmittag in dieser Weise außer dem Hause. Wollte Gott, daß die alte Dame sich noch einmal erholt, denn P. Beckmann will ja in dieser Woche für 3 Tage hierher kommen, um Triebsch noch letzte Unterweisungen zu geben, am Ostersonntag soll dann die bedingte Taufe stattfinden. Auf jeden Fall werden wir morgen mit P. Beckmann telephonieren. Er wird nun natürlich nicht bei Frau L. wohnen können u. wir werden ihn bei uns aufnehmen, worüber ich mich sehr freuen würde. – Abends beteten wir den Rosenkranz.
Vormittags schrieb ich einen reiflich überlegten Brief an Herrn Kreuzberg, der mir auf meine Anfrage nach dem Verbleib meiner Zeichnungen recht unbefriedigend geantwortet hatte. Von Else ein guter Brief. –
[12]Martha war nach Tisch bei Frau L., die wohl im gleichen Zustande ist, wie gestern, nur daß sie nun im Bett liegt. Morgen will ich hingehen. Sie hat Martha ein kleines Heftchen mitgegeben, von dem sie dringend gesagt hat, daß wir es lesen sollten. Wir haben das heute Abend getan, ich las es vor. Es enthält eine Beschreibung der wunderbaren Vorgänge in Fatima, von denen ich schon damals im Christkönigshause sprechen gehört hatte, doch habe ich niemals Näheres darüber in Erfahrung bringen können. Ich wußte nur, daß es sich um Erscheinungen der Muttergottes handelte u. daß Fatima in Portugal liegt, das war alles. Dieses Heftchen nun hat Frau L. von irgend jemand erhalten, wahrscheinlich von den beiden alten Frl. Horn die bei ihr wohnen. Es ist höchst seltsam gedruckt, ohne Titelblatt, ohne irgend eine Angabe des Herausgebers oder auch nur des Druckers, wie eine geheime Schrift. Und von dem Inhalt muß ich sagen, daß ich davon ganz erschüttert bin. –
Nach dem Mittagessen ging ich zu Frau Longard, die ich sehr viel apathischer antraf, als am Sonntag. Erna Fenchel u. ihr Mann, die nach wie vor sehr rührend um die alte Dame besorgt sind, sandten heute Morgen ein Blitz-Telegramm an die Tochter, Frau Prof. Kemper in Berlin. Martha hatte bereits an Frau K. geschrieben u. den Brief einem Mann mitgegeben, der gestern Früh nach Berlin fuhr. – Ich traf Frau L. in ihrem Schlafzimmer auf einem Liegestuhl liegend. Sie sprach schlechter als am Sonntag, sodaß ich sie schwer verstehen konnte. Ich erzählte ihr was mir einfiel. Der Briefträger brachte einen Brief ihres Sohnes Rechtsanwalt Dr. Longard aus Berlin, den ich ihr vorlas. Ich betete dann mit ihr einen Rosenkranz, doch sprach sie nur dann u. wann einmal die Antworten. Es sieht schlecht mit ihr aus. – P. Beckmann hatte morgens bei der Post angerufen u. ließ bestellen, daß er heute käme. Er kam gegen 7 Uhr abends, er war erst bei uns um sich informieren zu lassen. Er machte selbst einen recht ermüdeten Eindruck. Er war in der vergangenen Woche in Berlin gewesen, die Reise ist sehr schwierig gewesen. –
Die Ernährung fängt jetzt an, katastrophal zu werden. Es sind hunderttausende von Tonnen Kartoffeln erfroren u. die spärlichen Vorräte, die die Leute hatten, sind nun aufgebraucht. Auch die Kohlrüben sind aufgegessen. Niemand weiß, was werden soll. Dazu ist der Oderdamm bei Küstrin geborsten u. das Land des Oderbruches ist weithin unter Wasser. In Berlin sollen nach der Radiomeldung 20.000 Flüchtlinge aus dem Oderbruch eingetroffen sein. Alle Vorräte im Oderbruch sind natürlich ebenfalls vernichtet. Es wird eine Katastrophe werden. Selbst hier Leute wie Bernhard Saatmann haben nur noch für 14 Tage Kartoffeln, wie er mir heute sagte, – bei den Flüchtlingen ist es natürlich noch viel schlimmer. Auch P. Beckmann hat nichts zu essen. Wir haben Lebensmittel zu Frau L. gebracht, damit sie wenigstens P. Beckmann verpflegen können, der bis Donnerstag Vormittag hier bleiben will. Morgen früh wird er bei uns Messe lesen.
Heute hatten wir den ganzen Tag über elektr. Strom, auch abends. Ob die Sperrstunden abgeschafft worden sind, wie es ja im vorigen Sommer auch war, muß die Erfahrung lehren, bekanntgemacht wird so etwas ja nicht, sonst könnten ja vielleicht die Engländer u. Amerikaner etwas davon merken. Bei den Russen geschieht prinzipiell alles heimlich.
[13]Nachdem ich den „Aufstieg zum Berge Karmel“ glücklich hinter mich gebracht habe –, es ist eine recht schwierige u. oft saure Arbeit gewesen –, habe ich nun mit der „Dunklen Nacht“ begonnen, die mir zunächst etwas leichter vorkommt. Vielleicht liegt es daran, daß ich nun die Ausdrucksweise u. die Gedankengänge des Joh. v. K. besser kenne. Sehr tröstlich sind aber diese ersten Kapritel, in denen die geistigen Unvollkommenheiten beschrieben werden, welche die Anfänger im religiösen Leben begehen u. die auch ich alle Wort für Wort begangen habe. Ich schäme mich heute dieser Dinge sehr, wenn ich daran zurückdenke, aber es tröstet mich doch, daß es Fehler sind, die fast alle begehen u. mir nicht allein eigen waren, bzw. noch sind. Da ist gleich zuerst die Hoffart. Mein Gott, Du weißt, wie ich damals stets ein eitles u. dummes Verlangen hatte, vor anderen Leuten über geistliche Dinge klug zu reden. Besonders die Zeit im Christkönigshause war mit solchen Eltelkeiten angefüllt. Es scheint mir heute so, als ob Gott gerade damals angefangen hätte, mich in die dunkle Nacht zu führen u. alle diese Fehler an mir zur Blüte gekommen wären. Wie kritisierte ich damals die Brüder u. die anderen Bewohner des Hauses, ja selbst P. Petrus, der freilich zu mancher Kritik Anlaß gab, aber keinesfalls in Bezug auf Frömmigkeit u. Andacht. Wie eitel war ich, wenn ich merkte, daß meine eigene Andacht u. mein Gebetseifer die Bewunderung anderer fanden u. wie freute ich mich, wenn sich mir Gelegenheit bot, öffentlich aufzufallen mit meinem frommen Gehabe. Es ist beschämend, aber heilsam, sich daran zu erinnern! Wie töricht war ich, meine Lust an der Kritik dem Prälaten Schmidt gegenüber auszulassen, weil ich glaubte, derselbe müsse meiner Ansicht sein. Und so habe ich damals viele solche Torheiten begangen u. es mag mich etwas trösten bei Joh. v. K. zu lesen, daß solche Fehler allen Anfängern anhaften. Ich sehe daraus, daß ich weder im Guten noch im Bösen eine Ausnahme bin, sondern Durchschnitt u. wie jeder andere. Joh. v. K. meint, daß sich nur sehr selten Anfänger finden, die in der Zeit des ersten Eifers nicht solche Fehler begehen. Allerdings führt er dann weiter die Eigenschaft wahrer Demut an u. da muß ich leider gestehen, daß es mir daran auch heute noch fehlt, – u. das ist viel schlimmer als meine frühere Hoffart.
Morgens las P. Beckmann bei uns die hl. Messe, wobei etwa 8 – 10 Teilnehmer waren. Morgen früh ist noch einmal Messe, dann fährt P. Beckmann nach Ribnitz zurück. Er hat Frau L. mit den Sterbesakrament versehen, mehr kann er ja nicht tun. Am Sonnabend vor Ostern wird er wieder hier sein, um Prof. Triebsch die bedingte Taufe zu geben u. am Ostersonntag Morgen wird er hier das Hochamt halten. Ich nehme an, daß Frau L. das Osterfest nicht mehr erleben wird. Martha war heute bei ihr, ihr Zustand hat sich wenn auch nicht viel, so doch langsam verschlechtert. Der Sohn aus Berlin hat heute telegraphiert, daß er morgen kommt, die Tochter telephonierte heute Abend bei der Post an. Fritz ist eben zur Post, um eine Verbindung mit ihr zu bekommen u. ihr zu sagen, daß sie doch mit ihrem Bruder herkommen solle. An Pater Pius in Maria-Laach habe ich heute ebenfalls ein Telegramm geschickt, wenn er auch nicht kommen kann, so kann er doch beten.
Von Schwester Gertrud Dobczynski erhielt ich heute eine umfangreiche Büchersendung aus dem Nachlaß [14] ihres Bruders, sehr schöne u. wertvolle Sachen. Dazu schreibt sie einen sehr langen Brief, in dem sie sich über das wenig glückliche Verhältnis ausspricht, das zwischen ihr u. dem jetzigen Pfarrer besteht u. vor allem dessen Mutter, die dem Pfarrer die Wirtschaft führt u. eine arge Klatsche zu sein scheint. Der Pfarrer selbst ist ein weicher Mensch, der die Bequemlichkeit liebt u. damit das Lebenswerk des Pfr. Dobczynski in Grund u. Boden ruiniert. Es ist hart für die Schwester, das ansehen zu müssen. – Ferner erhielt ich einen Brief von Faensen, der mit seiner Familie wie durch ein Wunder durch diesen Winter durchgekommen ist, sowie einen Brief von Herrn Edgar Zieger aus Sellin, der kein Katholik u. überhaupt nicht religiös interessiert ist, sondern das Bild nur gekauft hat, weil er von den Augen u. von der Vergeistigung dieses Kopfes fasciniert war. Er scheint ein Sammler zu sein u. schreibt mir, daß mein Bild einen Ehrenplatz in seiner Sammlung einnehme.
Heute morgen hl. Messe, sehr viele Leute waren da, obgleich wir nichts bekannt gegeben hatten. P. Beckmann frühstückte dann mit uns u. ging dann zu Triebsch, mit dem er noch über religiöse Dinge zusprechen hatte. Am Nachmittag traf Martha ihn noch bei Frau Longard, wo er sich sehr befriedigt über Triebsch ausgesprochen hat. – Mit Frau L. geht der Gang langsam weiter. Wir erwarten morgen den Sohn u. die Tochter aus Berlin.
Von Frau Prof. Kemper Telegramm, daß sie aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen könne, dagegen kam Rechtsanw. Dr. Longard an. Ich sah ihn vom Fenster aus mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken von Ribnitz zu Fuß ankommen, er ging mühsam, des Marschierens ungewohnt u. unterernährt.
Die Lektüre des Johannes vom Kreuz habe ich jetzt erst mal wieder aufgegeben, nachdem ich den Aufstieg zum Berge Karmel durchgearbeitet habe, was keine leichte Arbeit war. Die zweite Schrift „Die Dunkle Nacht“ habe ich etwa zur Hälfte gelesen, aber ich bringe die angespannte Konzentration nicht mehr auf, um damit zu Ende zu kommen, ich werde in einiger Zeit versuchen, dieses Buch u. die übrigen Schriften zu lesen, ich bin jetzt zu ermüdet davon. Dafür lese ich nun ein sehr viel leichteres, aber recht interessantes Buch des Jesuiten Gustav E. Closen „Wege in die Hl. Schrift“, das zu den neuen Büchern gehört, die mir Schwester Gertrud Dobczynski aus dem Nachlaß ihres Bruders gesandt hat. – Abends lese ich Martha aus denselben Büchern vor. Bartmann: „Jesus Christus“. Dieser große Dogmatiker ist zwar, recht trocken, aber sehr lehrreich, sodaß besonders Martha einen großen Nutzen davon haben wird. –
Zwischendurch habe ich heute eine Bleistiftstudie eines männlichen Kopfes gemacht. Das strenge Studium der letzten Zeit hat mich sehr gefördert, der Kopf ist sehr asketisch, sehr vergeistigt, ein Niederschlag all dessen, was mir die hl. Theresia u. Johannes vom Kreuz gegeben haben. Ich denke, daß ich nach Ostern wieder anfangen werde zu malen. –
[15]Nach Tisch waren wir bei Frau Longard, wo wir den Sohn Dr. Longard antrafen. Frau L. fanden wir in ihrem Wohnzimmer im Liegestuhl. Sie sah sehr viel besser aus als das letzte Mal, wo ich sie sah, die Augen waren klarer u. die Sprache auch besser, nur daß mir eine gelbliche Färbung im Gesicht auffiel, doch nicht im ganzen Gesicht, sondern nur stellenweise. Auch war die linke Seite beweglicher, doch fiel mir auf, daß die linke Hand etwas geschwollen zu sein schien. Ich hatte den Eindruck einer Besserung, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß es eine Täuschung war. Dr. Meyer hat sich zu Frau Triebsch geäußert, daß der neunte Tag nach einem Schlaganfall in der Regel eine Krisis bedeute. Da der Schlaganfall genau vor einer Woche eintrat, würde morgen dieser neunte Tag sein. – Wir waren etwa eine Stunde dort, als Herr u. Frau Triebsch kamen, was wir zum Anlaß nahmen, zu gehen. Frau L. war zum Schluß eingeschlafen. – Herr Dr. L. erzählte von seiner Reise hierher, die überaus beschwerlich gewesen ist, der Zug war so voll, daß man ihn nur durch die Fenster besteigen u. verlassen konnte. Es ist einfach furchtbar, wie noch immer, zwei volle Jahre nach Einstellung der Kampfhandlungen, diese Verkehrsverhältnisse hier in der russischen Zone beschaffen sind. –
Heute früh bereits um 6 Uhr öffneten Fritz, Martha, Frl v. Tigerström u. Trude, die hierzu extra so früh gekommen war, unsere Kartoffelmiete. Sie taten das so früh, um möglichst zu vermeiden, daß andere Leute etwas davon gewahr wurden, denn so ist es nun schon, daß man sich ängstlich hüten muß, daß andere Leute sehen, wenn man noch Nahrungsmittel besitzt. Trotzdem ließ sich nicht vermeiden, daß die Nachbarn Papenhagen es bemerkten. Sie erwarten nun selbstverständlich, daß man ihnen etwas abgibt, obschon sie selbst besser die Möglichkeit haben, sich Lebensmittel zu beschaffen, als wir, u. auch tatsächlich mehr haben als wir. Papenhagen hat sehr viel Holz verfeuert in diesem Winter als andere Leute u. hat jetzt wieder neues Brennholz bekommen, aber es wird ihm nie einfallen, uns Holz abzugeben, obgleich unser Holz jetzt zuende ist u. wir nicht mehr heizen können. Das sind höchst häßliche Begleiterscheinungen der allgemeinen Not. Gerade in Bezug auf Holz ist es besonders schlimm. In der Dorfstraße sind viele Pappeln dem Winter zum Opfer gefallen u. in die Oefen gewandert, sodaß die Dorfstraße bereits böse aussieht. In der neuen Kolonie draußen sind ganze Reihen von Bäumen in die Oefen der Leute gewandert. – Von den Kartoffeln unserer Miete ist ein nicht unerheblicher Teil erfroren. Gegen Abend erschien natürlich auch Grete u. bettelte um Kartoffeln. –
Von Frau Triebsch hörten wir, daß es Frau Longard auch heute weiterhin besser geht. Damit wäre denn der Tag, der nach Ansicht von Dr. Meyer ein Krisentag war, gut verlaufen. – Nachmittags war Carmen Grantz da, mit der ich das Singen am Ostersonntag besprach, sie will während des Gottesdienstes singen, aber nur ganz einfach u. schlicht, ohne großen künstlerischen Anspruch.