TBHB 1947-01
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1947-01 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Januar 1947. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 13 Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1] Gestern zeichnete ich eine Skizze für eine Flaschen-Etiquette einer Flasche Schnaps, die der hiesige Kulturbund Koch-Gotha schenken soll, der am 5. Januar 70 Jahre alt wird.
Abends war das Ehepaar Dr. Burgartz bei uns es war sehr gemütlich. Wir tranken Tee u. die nun allerletzte Flasche Rotwein mit Zucker, dazu hatte Trude eine sehr gute Obsttorte gemacht. Das Ehepaar verließ uns erst um 3 Uhr morgens, wir unterhielten uns sehr angeregt. Dr. B. fand die Etiquette sehr gut u. war mit der Idee einverstanden. Er berichtete, daß Koch-Gotha vom Magistrat Rostock gefeiert wird, bzw. vom dortigen Kulturbunde, sodaß er höchstens abends wieder zuhause sein wird. Das enthebt uns der Schwierigkeit, unsererseits etwas zu veranstalten, außer eben dieser Flasche Schnaps, die Rr. B. mit Fritz zusammen am 5. Jan. abends hinbringen wird.
In der Zeit der Stromausschaltung von 4 – 6 Uhr war das Ehepaar Triebsch bei uns, um zum Neuen Jahre zu gratulieren u. sich für das Weihnachtsgeschenk zu bedanken, das wir ihm im Hinblick auf die Oelfarben, die er mir zur Verfügung stellen will, geschickt hatten.
[1][1] Vormittags am Bilde „Dorfstraße“ weitergemalt. Die Unterbrechung der Arbeit in den Weihnachtstagen bis heute verursacht, daß es recht schwer ist, wieder hineinzukommen, besonders, da das Bild beinahe fertig ist. So bekommt man zum Schluß noch seine Schwierigkeiten damit.
Nach dem Frühstück brachte Fritz die Nr. 8. der „Demokrat. Erneuerung“, die jetzt erst hier eingetroffen ist, obwohl sie schon am 12. Dez. von Schwerin, abgesandt wurde. Sie enthält nochmals zwei Aeußerungen über meine Schweriner Ausstellung. Die erste ist von einem Rostocker Studenten Düwel, welcher der Schwiegersohn jener Frau Kerstens ist, die in der Landeszeitung so zustimmend über meine Bilder geschrieben hat. Herr Düwel ist dagegen keineswegs zustimmend. Er vergleicht mich mit Käthe Kollwitz von deren Arbeiten ja um die gleiche Zeit eine Ausstellung in Rostock zu sehen war. Ein solcher Vergleich ist an sich schon einfach unmöglich, man könnte ebenso gut Böcklin mit Menzel vergleichen. Er beteuert dann weiter, daß ich eine „wirkliche Künstlerpersönlichkeit“ sei u. sagt viel Lobendes über meine Farben, aber dann verneint er mit Entschiedenheit die Frage, ob ich der heutigen jungen Generation etwas zu sagen hätte. Obwohl er sagt, daß ihn meine Bilder „erfaßt“ hätten, [2] weil er gespürt habe, daß „eine gewaltig ringende Persönlichkeit am Werke ist“, aber dennoch behauptet er, „man trägt nichts Belebendes, nichts Erhebendes mit nach Haus“ weil die „Dinge bis in ihre letzte Konsequenz entwirklicht“ seien. Der junge Herr erklärt mit der Überheblichkeit, die dieser Nachhitlerjugend eigen ist, daß ich herabkommen u. unter den Zeitgenossen weilen solle, ich hätte vergessen, „ein Mensch zu sein“. – Es ist also auch hier wieder dieselbe Forderung, die täglich an uns Künstler gerichtet wird, wir sollten auf das Niveau der „Werktätigen“ herabsteigen, um dem Arbeiter verständlich zu sein. Dieser stud. phil. ist zwar milder, er verlangt nur, daß ich auf das Niveau der Studienräte herabsteigen soll.
Die zweite Auslassung ist von einem Herrn Paul O. Ziems aus Hagenow. Er stellt sich als ein schon älterer Mann vor, der die Zeit des Expressionismus um 1918 miterlebt hat. Ich habe ihn im Verdacht, daß er wirklich Studienrat ist. Er behauptet von sich, daß er die Fähigkeit besitze, „mit klarem Gefühl u. wachen Sinnen den Wesenskern des Kunstwerkes .... zu erkennen u. ... zu beurteilen.“ – Er wiederholt die heute so oft aufgestellte Behauptung, daß der Expressionismus längst überwunden sei u. er behauptet kühn, daß „mit Sicherheit in unserer kunstgeschichtlichen Entwicklung ein Stand der Dinge erreicht“ sei, in welchem „auch das letzte reaktionäre Hindernis, welches sich der geradlinigen Entwicklung entgegenstellte, als überwunden gelten kann.“ Dergleichen Torheit kann nur ein Studienrat behaupten. Dieser Herr lobt zwar ebenfalls meine „Malkultur“, kommt aber dennoch zu dem Schluß, daß diese Ausstellung meiner Bilder überflüssig gewesen sei. –
Es ist also nicht sehr erfreulich, was da geschrieben worden ist, nur, daß durch solche Dinge, wie Burgartz sagt, mein Name dem Gedächtnis eingehämmert wird u. zu einer umstrittenen Berühmtheit im Lande Mecklenburg-Vorpommern wird. Es ist das ein Vorzug, der vielleicht zweifelhaft ist, es wird sich erweisen.
Gestern ein Brief von Petersen aus Bln. Er teilt mit, daß er in Freiburg war, wo ihm eine Chefredakteur-Stelle angeboten worden ist u. daß er nunmehr dorthin übersiedeln wird. Gleichzeitig erwähnt er, daß er in meiner Ausstellungsangelegenheit einen neuen Weg gefunden hätte u. darüber in den nächsten Tagen berichten würde.
Das Bild „Dorfstraße“ habe ich fertig gemacht. Es befriedigt mich zwar keineswegs, aber ich habe keine Lust mehr. Eine Arbeit, die einmal unterbrochen ist, ist wie eine Zigarre, die ausgegangen ist. Man kann wie wohl wieder anzünden u. weiterrauchen, aber sie schmeckt nicht mehr. Dieses Bild ist das dreiundzwanzigste des Jahres 1946, ein ungemein produktives Jahr, obgleich ich lange Zeit krank war u. nicht arbeiten konnte. Wenn das Jahr 1947 annähernd ebenso produkiv wird, werde ich am [3] Schluß endlich eine ganz ansehnliche Anzahl von Bildern besitzen, mit denen sich dann schon etwas anfangen läßt.
Das erste Bild dieses Jahres soll „Vernichtung" werden. Ich hatte mir gedacht dieses Bild auf Papier zu malen, das ich auf eine Sperrholzplatte aufziehen wollte, doch klebte der Leim nicht u. ich mußte das Papier wieder runterkratzen. Ich werde nun auf das Holz direkt malen.
Es ist seit einigen Tagen wieder bitter kalt, heute -10°. Es ist klares Wetter, Vollmond u. keine Aussicht, daß es milder wird. Das Schlimmste ist, daß uns 6 mtr. Buchenholz, die gestern endlich nach viel Schwierigkeiten aus dem Walde geholt werden sollten, gestohlen worden sind.
Heute wird Koch-Gotha 70 Jahre alt. Ich habe eine sehr hübsche Etiquette für eine Schnapsflasche gezeichnet, die Fritz heute im Namen des Kulturbundes hinbringen wird.
Gestern Abend, als ich schon im Bett lag, kam Martha, mir zu sagen, daß im Seezimmer der Heizkörper geplatzt sei. Da das heraustropfende Wasser sofort gefror, konnte ja im Augenblick nichts weiter passieren. Heute früh holte Fritz sofort Tark, der auch gleich kam. Es ergab sich, daß in der Nacht die Heizkörper im Seezimmer, in meiner Bilderkammer und im Eßzimmer eingefroren u. geplatzt waren. Tark nahm alle drei Heizkörper ab, was sich machen ließ, ohne das ganze Wasser aus der Heizung abzulassen, da auch die Zuleitungsrohre zu den Körpern gefroren waren. Er versah diese Rohre mit Kappen. Wir werden zunächst diese Heizkörper abgenommen lassen, damit sie auftauen und erst wieder ansetzen, wenn Tauwetter eingetreten ist. An dieses ist freilich noch nicht zu denken. Wir hatten in der Nacht -17.° u. es war den ganzen Tag über bitter kalt.
Vormittags zeichnete ich das neue Bild „Vernichtung“ auf die Sperrholzplatte auf.
Nachmittags hatten wir zu allem Überfluß kein Licht, es kam erst um 9 Uhr abends wieder.
Der Frost hat den ganzen Tag in gleicher Stärke angehalten, doch scheint es gegen Abend ein wenig milder geworden zu sein.
Vormittags das neue Bild angelegt. Starke Farben. Ein Brief von Agathe Lindner-Welk. Sie bedankt sich für die Zeichnung, die ich ihr wegen ihrer Presse=Hilfe schenkte. Sie schreibt, daß sie im Sommer hier in Ahrenshoop einen Roman zu schreiben begonnen hätte zu dem sie bereits 120 Druckseiten fertig habe. Sie will in diesem Jahre wieder hierher kommen.
Der Frost hält unvermindert an. Heute war von 2 Uhr nachm. bis 9 Uhr abds. der Strom ausgeschaltet. Dieses stumpfsinnige Sitzen im Dunklen ist ziemlich schwer zu ertragen. Zum Überfluß war in der Nacht auch die Pumpe eingefroren, die ich indessen bis zum Mittag [4] durch ein ordentliches Kohlenfeuer im Keller wieder in Gang brachte.
Telegramm von P. Beckmann, daß am Sonntag, wie verabredet, hier Gottesdienst ist. Es wird das wieder sehr kalt werden.
Abends im Rundfunk allerhand. Die Engländer haben alle deutschen Angelegenheiten dem Außenminister zugewiesen. Man scheint also zu bemerken, daß es so, wie es ist, nicht weitergehen kann. Sodann ist der amerikan. Außenminister Byrnes plötzlich u. völlig unerwartet zurückgetreten. Den Grund kennt man nicht. Er war die große deutsche Hoffnung. Sein Nachfolger ist ein General Marshal, von dem man nicht viel weiß. – Schließlich ist großer Krach in Hamburg, da keine Kohlen da sind u. das ganze Leben dadurch zum Erliegen kommt. Der Oberbürgermeister hielt im Parlament eine bedrohliche Rede, die im Rundfunk wiederholt wurde. Die Stadt steht vor einer Katastrophe. – Das Jahr fängt also gut an. Die einzige Maßnahme, die der Senat weiß, ist die, daß die Schulen bis zum 15. Jan. geschlossen bleiben. Zu diesem Termin sollen die Schulen Kohlen erhalten u. sollen dann als Wärmehallen für die Bevölkerung dienen. Bei der gegenwärtigen Kälte u. der mangelhaften Ernährung u. Kleidung können bis dahin Tausende erfroren sein.
Die Bombenattentate auf die Entnazifizierungs=Spruchkammern in Süddeutschland, die seit einiger Zeit verübt werden, setzen sich fort. In Nürnberg soll ein sehr schweres Attentat verübt worden sein, wie ebenfalls der Rundfunk bekannt gibt. Es sind das böse Anzeichen einer unterirdischen Gärung im Volke, die nicht ernst genug bewertet werden können; aber es scheint, daß man auf amerikan. Seite, der Besetzungsmacht, diesen Ernst sehr vermissen läßt. Ich fürchte, daß der Hunger, die Kälte u. all diese Not verbunden mit der politischen Gärung, in nächster Zeit zu bösen Explosionen führen wird. Der Hamburger Senat soll bereits damit gedroht haben, geschlossen zurückzutreten.
Die Not der Großstädter geht aus Faensen's letztem Brief hervor. Danach leben sie zu acht Menschen, darunter ein Säugling u. eine 81jährige Tante u. er als Patient in einem einzigen Zimmer, das nur auf 10° erwärmt werden kann (als er das schrieb!). – Inzwischen ist dieser Frost eingetreten. Sie haben regulär nur einen Centner Briketts erhalten, zusätzlich erhielten sie noch zwei Centner Säuglings-Briketts u. einen Centner Kranken-Briketts Das alles ist furchtbar. –
Immer noch der gleiche Frost, dazu aber ein scharfer Ostwind, der durch alle Ritzen u. Fugen geht, sodaß es auch im Hause kalt ist. Der Rundfunk behauptet, daß der Höhepunkt überschritten ist, daß von Westen her Erwärmung käme, die freilich an der Elbe ihr Ende finden würde. An der Elbe befindet sich also auch für das Wetter der „Eiserne Vorhang“, der uns vom Westen trennt.
Die Kälte hat uns veranlaßt, Herrn Röwer herzubitten, der auch sofort kam u. den eisernen Ofen, der im Atelier des kleinen Hauses ungenutzt stand, abmontierte, um ihn in meinem Schlafzimmer aufzustellen. Um Platz zu schaffen, stellte ich den niedrigen grauen Schrank in mein Wohnzimmer u. das Bett rückte ich hinauf zum Fenster, wo bisher der große weiße Schrank stand. Dieser steht jetzt am Platze des [5] grauen. Das Schlafzimmer ist dadurch räumlich sehr viel hübscher geworden, das Wohnzimmer etwas weniger, dafür aber ist es nicht mehr so eisig, da bei dem geringen elektr. Strom, den wir noch erhalten der elektr. Ofen so gut wie garnicht mehr wirksam ist.
Vormittags gemalt. Da die Holzplatte mit einer dünnen, braunen Ölfarbe gestrichen war, – nur ein einmaliger Anstrich, – u. ich überdies noch versucht hatte, Papier darüber zu kleben, ist eine überhaupt nicht saugende Malfläche entstanden wie Oelgrund. Infolgedessen trocknet die Farbe schwer u. ich bin gezwungen, naß in naß zu arbeiten. Es ist das für mich völlig ungewohnt u. ich muß mich mit dieser Technik erst zurechtfinden, doch hat sie auch gewisse Vorteile. Ich glaube, daß das Bild gut wird.
Der alte Meier ist gestorben. Nachdem er wochenlang wegen Krätze im Fischland-Krankenhause gelegen hat, wurde er vorgestern dort entlassen. In der Nacht darauf ist er gestorben. Soweit sich der schwachsinnige Sohn Wilhelm dazu äußerte, scheint der Alte ganz friedlich in der Nacht in die Ewigkeit eingegangen zu sein, jedenfalls hat Wilhelm nichts davon bemerkt. Er stellte nur morgens fest, daß der Alte tot war.
Der Frost ist etwas milder geworden.
Der Frost ist etwas milder geworden, aber dennoch sehr unangenehm. – Das neue Bild macht gute Fortschritte. – Abends gegen 7 Uhr traf P. Beckmann ein u. fuhr nach Besprechung des Wichtigsten zu Frau Longard weiter. Nachmittags richtete ich mit den zwei sudetendeutschen Frauen, die schon Weihnachten halfen, die Veranda bei Möller für die Messe vor. – Nach dem Abendbrot saß Frl. v. Tigerström bei uns, ich las vor: Theodor Haecker: „Die Versuchungen Christi“. Das Büchlein, das jüngst im Morus-Verlag Berlin erschienen ist, sandte mir Joseph Faensen zu Weihnachten.
Morgens Hochamt „Hl. Familie“ mit einer sehr energischen Ansprache von P. Beckmann. Guter Besuch, obwohl es bitter kalt ist. Es ist Ostwind mit Schneetreiben aufgekommen. Es war zwar gut geheizt, aber sehr fußkalt.
Frühstück mit P. Beckmann, der das Gerücht bestätigte, daß der Bürgermeister von Ribnitz, Jelitzky, durchgebrannt ist. Dieser Mann war Kommunist u. jetzt großer Mann in der SED. Er sollte jetzt einen Lehrgang in Schwerin absolvieren, dann Regierungsrat werden u. eine Anstellung in der Landesregierung erhalten, doch ist er in Schwerin nicht angekommen, dagegen ist festgestellt, daß er mit seinem Auto die Zonengrenze Richtung Westen überschritten hat. In der Stadtkasse von Ribnitz fehlen dafür 25.000 Rm., die er mitgenommen hat. – Ferner wurden in der Neujahrsnacht in Ribnitz der Gefängnisdirektor, der Polizeichef u. noch ein anderer [6] Beamter dieser Kategorie schwer verprügelt, der Polizeichef soll davon noch immer bettlägerig sein. Am Morgen nach dieser Nacht wurde die Frau des Polizeichefs von unbekannter Seite angerufen u. sie wurde gefragt, wie es ihrem Manne ginge. Als sie sagte, es ginge ihm sehr schlecht, wurde ihr mitgeteilt, daß der Polizeichef beim nächsten Mal totgeschlagen werden würde.
In Ribnitz ist in einer Baracke ein sog. „Landes=Altersheim“ eingerichtet. Es sind 150 alte Leute zwischen 70 u. 100 Jahren dort untergebracht, ausnamslos Katholiken aus dem Sudetenlande. Diese alten Leute bekommen dort täglich morgens vier Scheiben trockenes Brot u. sog „Kaffee“, mittags einen Teller wässeriger Graupensupper u. am Nachmittag eine Portion heißen Tee. Das ist alles. Es ist unzureichend geheizt, sodaß die alten Leute in Massen zugrunde gehen. In der Zeitung aber steht, daß die Landesregierung gemeinsam mit der SED. wieder ein neues „Altersheim“ eröffnet hätte, in dem alte Leute prächtig betreut werden.
Früh 8 Uhr Stille Messe, ziemlich viele Menschen, die Stube war voll, obgleich es sehr kalt war u. es draußen schneite. – P. Beckmann verließ uns gleich nach dem Frühstück nachdem er hier noch einen Krankenbesuch gemacht hatte.
Es war den ganzen Tag sehr trübe, sodaß ich nicht viel malte. Nachmittags gegen 3 Uhr trat ein Temperatursturz ein. Es fing an zu regnen, sodaß starkes Glatteis die Folge war. Hoffentlich ist P. B. noch vorher rechtzeitig in Ribnitz eingetroffen.
Ausnahmsweise hatten wir heute von 4 bis 6 Uhr Licht. Ich benutzte die Gelegenheit, den längst schuldigen Brief an Schw. Gertrud Dobczynski zu schreiben. Von 6 – 10 Uhr war es dann wieder dunkel, erst dann kam wieder Licht.
Ich habe begonnen, das „Leben der hl. Theresia“ zu lesen, das ich zwar schon einmal wie die meisten ihrer Schriften gelesen habe, aber nur oberflächlich. Jetzt will ich es gründlich lesen möglichst täglich einen kurzen Abschnitt, u. die Stellen, die vom innerlichen Gebet handeln, hervorheben. Hoffentlich bleibe ich bei diesem Vorhaben.
Heute morgen 11 Uhr wurde der alte Meier begraben. Von seinen Kindern war keines da, nicht einmal sein Sohn Wilhelm, der während des Begräbnisses seines Vaters im Bett lag. Ich selbst war auch nicht da aus Furcht vor dem sehr schlechten Regenwetter bei Süd=West u. starkem Glatteis. Martha ging hin u. einige wenige andere Leute, unter ihnen der Bürgermeister Schröter. Pfr. Pless soll sehr gut gesprochen haben.
Nach langer Zeit eine Nachricht von Dr. August Maaß aus Gronau in Gestalt eines Päckchens, welches einen vorzüglichen Käse enthielt, als Weihnachtsgruß. Er fragt nach Rudolf Mehlis, dessen Anschrift ich aber auch nicht weiß. Die letzte Nachricht von diesem kam vor schon langer Zeit aus Gera. Dorthin sandte ich ihm im eingeschr. Brief 100,– Rm. doch bekam ich nie eine Antwort. [7] Da er vorher an Lungenentzündung erkrankt gewesen war, muß ich annehmen, daß er gestorben ist. Seine Anschrift in Gera ist mir leider ebenfalls verloren gegangen.
Die Einteilung der Stromsperre von 6 – 10 Uhr ist, wie man sagt u. wie auch heute die Praxis zeigt, zur Regel geworden. Wir benutzen die Zeit kurz vor 6 Uhr, um das Abendbrot zu richten, essen dann bei einer Kerze – (so lange wir eine solche noch haben!) – u. schlafen dann bis 10 Uhr. Von 10 – 12 Uhr nachts lese ich im Leben der Hl. Theresia. Bis ich dieses dicke Buch durch habe, wird der Tag länger geworden sein.
Die Sperrzeit des Stromes hat sich noch verschlechtert, indem sie bis auf 1/2 11 Uhr nachts ausgedehnt wurde. Gestern war ich infolgedessen bis 2 Uhr morgens auf u. habe gelesen u. ebenso machte ich es heute, nur daß ich nicht bei mir im Zimmer war, sondern oben, wo ich Martha u. Frl. v. Tigerström aus dem Leben der Hl. Theresia vorlas.
Zum Ueberfluß mußten wir heute die Zentralheizung stillegen. Aus mir nicht bekannter Ursache ist in den noch verbliebenen Heizkörpern so wenig Wasser, daß dieses Wasser heute sofort nach Anheizen zum Kochen kam u. einen derartigen Rumor machte, daß ich den Ofen löschen mußte. Wir ließen Tack kommen. Er wird morgen wiederkommen u. wir werden uns dann entschließen, was wir tun. Wir können die Heizung nicht ganz stillegen, da uns sonst auch noch die Wasserleitung einfrieren wird, falls nochmals eine Frostperiode kommen sollte, u. damit müssen wir rechnen. Außerdem wäre die Folge davon, daß sich alles Leben im Atelier abspielen müßte, wo der kleine eiserne Ofen steht, der gut heizt. Martha macht z. Zt. mit dem ihr eigenen, großen Bewihr Inventur u. beschäftigt dazu mindestens zwei Angestellte. Wenn sich das in meinem Atelier abspielen soll, ist an ein Arbeiten meinerseits nicht mehr zu denken.
Nachmittags an Dr. August Maaß geschrieben u. für den Käse bedankt.
Heute ging das Licht noch um eine Stunde später, um 1/2 12 Uhr nachts, an. Von 6 – 1/2 12 Uhr nachts sitzt man wie ein Huhn im dunklen Stall. Es ist schwer zu ertragen. Die Folge ist, daß man nachts aufbleibt u. um so mehr Strom verbraucht.
Gestern Vormittag kam überraschend das Ehepaar Schultze-Jasmer aus Prerow. Da Fritz wiederholt bei ihnen gewesen u. bei ihnen gegessen hatte, mußten auch wir sie zum Essen einladen. Es gelang auch ganz gut, daß alle satt wurden.
Schultze-Jasmer war offenbar mit einem sehr starken Vorurteil gegen meine Bilder gekommen, mußte aber besonders vor dem „Mann im Kerker“ gestehen, daß er sich getäuscht hatte. Dieses Bild machte einen besonders tiefen Eindruck auf ihn. – Bei Tisch erzählte er dann seine Erlebnisse beim Kriegsende, da er zum Schluß ja noch Soldat geworden war. Um 3 Uhr fuhr das Ehepaar wieder nach Prerow zurück. Die Frau ist sehr viel magerer geworden, was ihr sehr zum Vorteil gereicht. Beide sehen heute noch genau so aus wie früher. Ich glaube, daß ich sie zuletzt vor dem Kriege gesehen habe.
Martha war heute Abend während der Dunkelstunden [8] bei Frau Longard, die ihr einen Brief geschickt u. um ihren Besuch gebeten hatte. Die gute, alte Dame ist in großer Sorge um ihre Tochter. Diese Sorge offenbarte sie mir, indem sie Martha einen langen Brief, den sie an ihren Schwiegersohn Prof. Kemper, geschrieben hat, mitgab, damit ich ihn lesen solle. Prof. K. ist ein biederer, aber überaus schwerfälliger u. in sich verschlossener Westfale, der selten einmal ein Wort spricht u. bei dem es die überaus lebhafte Tochter der Frau L. gewiß nicht leicht hat. Frau K. ist sehr überanstrengt u. in ihrer Gesundheit schwer geschädigt, bzw. bedroht. Möge Gott dem Ehepaare helfen.
Heute morgen mußten wir zu unserem großen Bedauern feststellen, daß uns über Nacht von unseren drei Kaninchen zwei Stück gestohlen worden sind, wobei wir noch von Glück sagen können, daß wenigstens dieses eine übrig geblieben ist. Es ist wirklich nichts mehr sicher.
Es wird ganz langsam draußen wieder kälter.
Abends fiel mir der Kopf meiner Tabakspfeife auseinander, nachdem ich ihn schon oft mit Leukoplast verklebt hatte. Ich habe nochmals versucht, ihn zu kleben, obgleich es hoffnungslos aussieht. Es ist die letzte Tabakspfeife, neue Pfeifen gibt es nicht.
Heute Vormittag habe ich das Bild „Vernichtung“ fertig gemalt. Vielleicht nenne ich es besser „Untergang“. Ich glaube, daß es ein sehr gutes Bild geworden ist, das erste des Jahres 1947. – Nachmittags habe ich die Skizze der zwei Herren, die sich Zoten erzählen, auf eine Holzplatte übertragen. Zu dieser Skizze wurde ich durch das Buch „Der Untertan“ von Heinrich Mann angeregt.
Es ist leider wieder recht kalt geworden, wenn auch noch nicht so scharfer Frost wie letzthin. Tack hat bis heute an unserer Heizung gearbeitet, der Heizkörper im Seezimmer ist am stärksten mitgenommen, fast alle Röhren sind geplatzt. Auch jetzt ist dieser Heizkörper noch nicht dicht, aber es scheint nicht so schlimm zu sein, jedenfalls haben wir gegen Abend den Ofen angeheizt.
Abends in der Dunkelheit kamen Küntzels. Grete erzählte von ihren Erlebnissen ihres jüngsten Aufenthaltes in Berlin, wohin sie gefahren war, um ihre Tochter Inge zu pflegen, die an Rheumatismus schwer erkrankt war u. wobei sie zuerst durch die Einschränkung des Personenverkehrs vor Weihnachten u. nachher durch den Frost viel länger aufgehalten worden war, als sie beabsichtigt hatte. Sie war Ende November nach Berlin gefahren u. ist erst in diesen Tagen wieder zurückgekehrt. – Auf der Hinfahrt wurde ihr Zug auf freier Strecke aufgehalten durch russische Soldaten, die damals nach Rußland zurück transportiert wurden u. aus diesem Anlaß überall plünderten. Auch diesen Zug wollten sie ausplündern, doch wurden sie durch andere russische Soldatenabteilungen daran gehindert. Im Zuge waren Leute, die diese Vorkomnisse schon kannten u. darüber erzählten, aber auch in Berlin waren diese Dinge allgemein bekannt, besonders wußte man dort über skandalöse Zustände in Stralsund zu berichten. Stralsund scheint überall in besonders schlechtem Ruf zu stehen. – Grete wohnte bei ihrer Tochter Inge in der englischen Zone Berlins, der Unterschied ist wie Tag u. Nacht. [9] Nach dem, was sie erzählt, tun die Engländer wirklich sehr viel, um den Deutschen zu helfen, besonders den Kindern, aber auch den Frauen, die bei ihnen irgendwie beschäftigt u. im Dienst sind. – Es war sehr interessant, diese Dinge zu hören, fatal ist bloß die dumme Art, in der Paul seine Torheiten zum Besten gibt.
Es ist mir mit viel Leukoplast gelungen, meinen Tabakpfeifenkopf wieder zusammen zu bringen.
Das Leben der hl. Theresia beschäftigt mich sehr. Ich lese es sehr langsam u. gründlich u. abends von 1/2 11 Uhr an, wenn wieder Licht ist, lese ich Martha daraus vor, wobei auch Frl. v. Tigerström zuhört. Ich verstehe jetzt erst, daß das, was die Heilige die 2. Stufe des innerlichen Gebetes ist u. sie Gebet der Ruhe nennt, dasselbe ist, was ich erstmalig unmittelbar nach meiner Firmung erlebte, dann jedesmal während der Exerzitien u. zuweilen auch sonst nach der hl. Messe u. Kommunion. Das Wort „Gebet“ hat mich bisher immer irritiert, es ist vielmehr ein seelischer Zustand, der mehr oder weniger lange anhält u. eigentlich mit dem, was wir unter Gebet verstehen, nichts zu tun hat, da wir unter „Gebet“ ja immer die Vorstellung von einem eigenen Tun haben wie beim gewöhnlichen Wortgebet. Seitdem ich das nun verstanden habe, ist mir die ganze Sache sehr viel klarer geworden.
Heute erhielt ich von Herrn Edgar Zieger aus Sellin die 1000,– Rm. für den Pfarrer von Ars. Das Geld ist lt. Abschnitt am 17.12.46. von Herrn Z. in Sellin eingezahlt worden, jedoch ist der Poststempel vom 11.1.47. – Ich habe Herrn Z. den Empfang sofort bestätigt u. ihm dies mitgeteilt. Ebenfalls habe ich sofort an Frau Dr. Riemenschneider geschrieben, daß sie das Bild nach Sellin schicken möchte. –
Heute Vormittag habe ich an Hand meiner Tagebücher einen Katalog meiner Bilder seit Juni 1944 angelegt. Ich habe die chronologische Reihenfolge ganz leicht feststellen können, nur das kleine Bild „Apokalyptischer Einbruch“ ist mir entgangen, doch kann ich es leicht nachtragen. Nach diesem Katalog habe ich bis jetzt achtunddreißig Bilder gemalt.
Nach langer Zeit erhielt ich heute wieder mal eine Nachricht von Dr. Krappmann.
Habe heute die Anlage eines neuen Bildes begonnen, die beiden Herren, die sich eine Zote erzählen. Ich glaube, daß es gut wird.
Nachmittags brachte mir Frau Burgartz eine Tabakpfeife ihres Mannes, die er nicht mehr braucht, da er das Rauchen aufgegeben hat. Gestern hat sie eine große Portion Tabak, selbstgebaut, gebracht, ein Pfund, wofür sie von uns Butter erhält. Die Tabakpfeife ist von bester Qualität, wie ich noch nie eine besessen habe.
Das Leben der hl. Theresia nimmt mich immer mehr gefangen, sie kann vielleicht meine besondere Schutzpatronin werden.
[10]Brief von Else vom 26.12. –, fast 4 Wochen unterwegs. Ueber ihre wiederholte Lektüre des „Der Herr“ von Guardini schreibt sie typisch protestantisch: „Als größte Bereicherung empfinde ich den Ernst, mit dem man alles, was sich auf Christus bezieht wörtlich glauben soll ...“ –
Frau Dr. Riemschneider schickt mir die Abschrift eines Briefes, den sie von einer Malerin Margarete Federmann erhalten hat über meine Ausstellung. Sie dankt ihr für ihren Einsatz für meine Kunst u. meint, daß diejenigen, die immer dafür plädieren, der Künstler müsse für's „Volk“ arbeiten, doch endlich mal erklären sollen, was sie damit eigentlich meinen. Sie sagt das ausdrücklich im Hinblick auf Adam Scharrer, der meinen Bildern die Bilder von Käte Kollwitz u. die Werke von Barlach entgegenstellt u. so tut, als wären diese „für's Volk“. Sie fragt mit Recht, ob denn die sog. „Werktätigen“, sich eine Zeichnung von Käte Kollwitz als Schmuck in die Wohnung hängen würden, wo doch diese Zeichnungen gerade die Not u. das Elend des Proletariats schildern! Lieber hängt sich ein Arbeiter den übelsten Kitsch an die Wand, wenn er nur recht sentimental u. „schön“ ist. Und das ist durchaus verständlich. Aber darüber hinaus: Wer von diesen heute so begeistert tuenden Bewunderern von Käte Kollwitz u. Barlach in ganz Mecklenbung=Vorpommern hat denn je ein Original dieser Künstler gekauft, oder wer hat auch nur eine Reproduktion an seinen Wänden hängen? Es ist das alles nur eine infame Heuchelei u. Käte Kollwitz u. Barlach würden, wenn sie diese ihre heutigen Bewunderer sehen würden, ihnen mit Verachtung den Rücken kehren. – Frau F. führt einen Satz aus einem Briefe des Moritz v. Schwindt an, der lautet: „Sie möchten das unerhört Neue, nie Dagewesene, aber es soll genau so aussehen, wie das, was immer war. ...“ – Ueber diesen Brief einer gänzlich unbekannten Kollegin habe ich mich sehr gefreut.
Sehr anregender Abend bei Frau Longard in den Sperrstunden von 7 – 11 Uhr. Dabei ergab sich, daß Herr Triebsch offenbar eine seltsame Einstellung zu mir zu haben scheint. P. Beckmann erzählte mir nämlich bei seinem letzten Hiersein, daß Triebsch ihm geschrieben habe u. gebeten habe, zu Ostern oder Pfingsten in die katholische Kirche aufgenommen zu werden. Ich wunderte mich schon etwas, daß er mir darüber nichts gesagt hatte, besonders, da er am 1. Januar mit seiner Frau bei uns war u. mindestens drei Stunden bei uns gesessen hat. Zu dieser Zeit hatte er den Brief an P. Beckmann bereits abgesandt. Nun ist er bei Frau Longard gewesen u. hat ihr Mitteilung gemacht von diesem Entschluß. Gleichzeitig hat er darum gebeten, die Angelegenheit geheim zu halten, wobei er ausdrücklich gebeten hat auch mir nichts zu sagen. Frau L. hat sich aber daran nicht gehalten, da sie ja wußte, daß P. Beckmann selbst mir von dem Brief Mitteilung gemacht hatte u. ich also darum wußte. Ich finde dieses Verhalten sehr merkwürdig, da ich [11] doch bis zu meiner Erkrankung jede Woche 2 – 3 Stunden für ihn geopfert habe um ihm religiöse Unterweisungen zu geben, u. zwar auf ausdrücklichen Wunsch der Frau.
Es ist wieder kälter geworden, dazu Schnee, dessen Ausstrahlung die Temperatur weiter drückt.
Das Bild der sich Zoten erzählenden Herren macht gute Fortschritte.
Besonders schöner Sonntag ohne irgend welche besonderen Ereignisse. – Briefe geschrieben an Else, Dr. Krappmann u. Frau Federmann in Schwerin. Abends Hl. Theresia vorgelesen, die mich immer mehr gefangen nimmt.
Es ist noch weiter Schnee gefallen u. vorläufig keine Aussicht auf Tauwetter.
Mit meinem Bilde hat sich eine Schwierigkeit ergeben, den Hintergrund in Beziehung zu setzen zu den beiden Köpfen. Daran habe ich heute gearbeitet, ohne jedoch irgend eine Lösung gefunden zu haben.
Seit gestern ist eine Besserung der Stromversorgung eingetreten das Licht geht bereits um 1/2 10 Uhr an, anstatt wie bisher um 1/2 11 Uhr.
Die Hl. Theresia regt mich mehr u. mehr an zum betrachtenden Gebet, das ganz langsam Wirklichkeit zu werden scheint. Zunächst allerdings nur, wenn sich gerade die Gelegenheit gibt, was nicht regelmäßig der Fall ist. Aber immerhin ein Anfang.
Den heutigen 26. Jahrestag, seitdem Martha u. ich uns kennen lernten, haben wir wie alljährlich bestens begangen. Morgens hatten wir Bohnenkaffee, Mittags Fleisch u. Abends aßen wir eine Stachelbeertorte u. tranken Schnaps, wobei sich eine recht ernste aber fruchtbare Aussprache mit Fritz ergab, der seit seiner Rückkehr mehr u. mehr im Schlendrian versackt ist. Es wird doch sehr schwer sein, ihn auf die Dauer aus seiner unseligen, vom Vater überkommenen Erbanlage zur genügsamen Bequemlichkeit herauszureißen u. ihm die Notwendigkeit einer verantwortungsvollen Lebensführung begreiflich zu machen.
Das Bild „Der unanständige Witz“ ist gestern fertig geworden. Heute habe ich noch einige letzte Pinselstriche daran gemacht. Ich bin ganz zufrieden damit.
Unsere Heizung hat uns Kummer gemacht. Den Heizkörper im Seezimmer mußten wir nun doch durch Tack abnehmen lassen. Er blieb trotz stärkstem Heizen eiskalt. Gestern aber blieben alle Heizkörper kalt, dafür gab es in der Heizung ein beängstigendes Gerumpse u. Gepolter. Wahrscheinlich war nicht genug Wasser darin. Tack mußte heute nochmals kommen. Er hat mehr Wasser eingepumpt u. nun scheint es wieder in Ordnung zu sein.
Die hl. Theresia füllt mich aus. – Es ist nach wie vor sehr kalt draußen. – Ich denke an ein neues Bild eines Dämon, habe aber noch keine Skizze gemacht. –
[12]Den ganzen Tag mit Lesen verbracht, teils Zeitungen u. Zeitschriften, teils Leben der Hl. Theresia. Ich las im 32. Hauptstück ihre Vision von der Hölle u. wurde dadurch lebhaft an jenen Traum erinnert, der zweifellos ebenfalls eine Vision war, die ich damals hatte, als ich an der Mittelohr-Entzündung in Rostock in der Klinik lag, zwischen Leben u. Tod. Es heißt da. „Der Eingang kam mir vor wie ein sehr langes, schmales Gäßchen, gleich einem sehr niedrigen, finsteren u. engen Backofen.“ – Ich entsinne mich dieser Vision wie auch der anderen, die ich damals hatte noch haarscharf. Bei mir waren die Wände dieses „Gäßchens“ aus Erde wie bei einem Schützengraben, aber der Boden senkte sich ziemlich steil herab, bis ich vor eine dunkelrote, stark vergitterte Tür kam. Das Gitter bestand aus starken, runden, eng beieinander senkrecht stehenden Balken wie Kiefernstämme. Ich schwebte dieser Tür unaufhaltsam entgegen, aber kurz ehe ich es erreichte, kam von links her eine Gestalt, die aus langen, dünnen, blankgeschliffenen Stahlstangen zu bestehen schien u. die mir, obgleich sie überhaupt garkeine Aehnlichkeit mit einer menschlichen Gestalt hatte, doch ein Engel zu sein schien. Dieser kam auf mich zu u. umhüllte mich ganz, sodaß ich in ihm drin war u. von allen Seiten von ihm umgeben war, u. führte mich den Weg wieder zurück, den ich hinabgeschwebt war, u. wiederum geschah dies schwebend. – Merkwürdigerweise habe ich bis heute nie den Gedanken gehabt, daß dies der Eingang zur Hölle gewesen sein könne, sondern ich nannte es einfach den Eingang zum Tode. – Die andere Vision, die ich hatte u. auf die ich mich ebenfalls noch taghell besinnen kann, bestand darin, daß ich an einen aus Balken gezimmerten Apparat mit Händen u. Füßen angenagelt in große Höhe durch die Luft schwebte u. hinter mir eine Gestalt war, die ich nicht sah, von der ich aber meinte, sie sei Christus selbst. Diese Gestalt hatte einen Foto-Apparat u. fotographierte mich fortwährend u. zu sehen, wie ich mich dabei benehme. Ich hatte eine unsagbare Angst. erst nachher, als alles vorbei war, wußte ich, daß jener Apparat, an den ich angenagelt gewesen war, ein Kreuz gewesen ist. – Eine dritte Vision war etwas undeutlicher. Da fuhr ich auf einem Gefährt, das ich nicht sah, über ein weites Land u. rechts u. links vom Wege standen eigenartige Holzgitter in großer Tiefe bis zum Horizont. Ich erkannte bei näherem Hinsehen, daß es Kreuze waren wie auf einem riesigen Soldatenfriedhof u. es stand ein Schild daran mit dem Worte „Der Sohn“. Später fuhr mich das Gefährt wieder zurück u. hier scheint diese schwächere Vision dann in einen gewöhnlichen Traum überzugehen, denn ich kam nach Wustrow, wo aus dem Fenster eines roten Gebäudes im ersten Stock jemand herausblickte, den ich zwar auch nicht sah, der aber „Der Vater“ war. Dieses Gebäude war die Wustrower Post, wobei –, wie ich später begriff, das Wort. „Post“ nur eine traummäßige Verschleierung war; es sollte post = nachher, später bedeuten.
[13][13] Heute Bleistiftstudie gemacht zu einem neuen Bilde „Der Dämon“. Sehr grausig. Sonst im Leben der hl. Theresia gelesen. – Es ist nach wie vor sehr kalt draußen.