Zum Inhalt springen

TBHB 1946-09-01

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: TBHB 1946-09-01
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1946
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel: Sonntag, 1. September 1946.
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 1. September 1946
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1946-09-01 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 1. September 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

[Bearbeiten]
[1]
Sonntag, 1. September 1946.     

[1]      Gestern ist mir eine Unverfrorenheit begegnet, die wirklich eine Gipfelleistung ist. – Es kam am Spätnachmittag dieser Dr. med. Schwaiger aus Bln., mit seiner Frau, der am Montag sich meine Bilder angesehen hatte. Beide hatten damals einen so überaus günstigen Eindruck auf mich gemacht. – Dieser Herr hatte mich bereits durch Petersen, mit dem er bekannt ist, wissen lassen, daß er eine besondere Begabung besäße, den Geldwert von Kunstwerken zu schätzen u. daß er gern bereit wäre, dieses Talent in meinen Dienst zu stellen. Ich ließ ihm durch P. sagen, daß ich es sehr begrüßen würde, wenn er meine Bilder taxieren würde. Er kam dann einige Tage später am Vormittag, doch wollte ich da arbeiten u. ich bat ihn, lieber Nachmittags zu kommen. Ich dachte dabei nicht so sehr an dieses Taxieren, sondern mehr daran, daß das Ehepaar schon bei seinem ersten Besuch darum gebeten hatte, noch einmal wiederkommen zu dürfen u. die Bilder ein zweites Mal zu sehen. Die Sache mit dem Taxieren war mir zwar ganz interessant, aber doch ganz unwichtig. –

     Nun kam gestern dieser Herr u. erzählte mir mit der Miene eines Biedermannes in salbungsvollem Ton, daß es für mich doch überaus gefährlich sein könne, wenn ich etwa zu hohe Preise forderte. Er sagte mir, [2] es sei in Bln. vorgekommen, daß ein Bilderkäufer zum Preiskommissar gelaufen sei u. sich beschwert habe u. daß dieser dann einen sehr niedrigen Preis für das Bild festgesetzt habe usw.

     Das ist natürlich kompletter Unsinn, aber ich hörte mir die Sache geduldig an, um zu sehen, wohinaus der Herr eigentlich wollte. Das ergab sich bald. Er teilte mir mit, daß er gekommen sei, um mich vor diesem u. a. Unheil zu bewahren u. daß er als Gegengabe dafür nur mein Bild „Weidenkätzchen“ erwarte.

     Ich war sprachlos. Ich weiß nicht, wie hoch dieser Mann den Wert dieses Bildes einschätzen mag, den ich mit etwa 800,– Rm. annehme. Der denkbar niedrigste Preis der Vorkriegszeit dürfte 300,– Rm. sein. Nimmt man diesen an, so heißt das, daß dieser Kerl für seine Taxator-Arbeit 300,– Rm. haben wollte, – bloß um mich selbst davor zu bewahren, vielleicht infolge zu hoher Preisgestaltung Unannehmlichkeiten zu haben.

     Ich antwortete dem Kerl selbstverständlich mit einem glatten, wenn auch höflichen Nein, woraufhin der Bursche durchaus nicht aufhörte, mich mit salbungsvollen Worten weiterhin zu überreden u. mich zu überzeugen. Ich habe eine große Kraft gebraucht, um mir alles anzuhören u. dennoch höflich zu bleiben, was mir wirklich bis zum Schluß gelungen ist. Der Kerl ging nämlich durchaus nicht fort, nachdem er merkte, daß er keinen Erfolg bei mir haben würde, sondern er blieb, als ob er am Stuhl festgeklebt sei, bis es dann endlich Abendbrotszeit war. Auch seine Frau schien nichts von dem Beschämenden der Situation zu empfinden, jedenfalls saß sie in ihrem Stuhl u. beobachtete mit neugierigem Interesse, wie die Geschichte ausgehen würde. – Ich habe mich, glaube ich, noch niemals in der Beurteilung von Menschen so getäuscht. –

     Abends erhielt ich ein Telegramm vom Landessender Schwerin, der mich einläd, am kommenden Mittwoch dort meine Einführungsworte zur Rostocker Ausstellung selbst zu sprechen. Ich müßte dann, wenn Dr. Gräbke mich am Dienstag hier mit den Bildern abholt, am Mittwoch früh nach Schwerin rüber fahren u. am Donnerstag wieder nach Rostock zurückkommen. Ulkig komme ich mir vor als ein Mensch, um den man sich bemüht. –

     Dr. Jaeger ist wieder auf einen Sprung hier u. will die Zeichnung zum hl. Pfarrer von Ars kaufen. Das ist die zweite Zeichnung, die in diesem Sommer in der BuStu. verkauft wird. –

     Am Nachmittag, als wir bei dem augenblicklich sehr schönen Wetter auf der Terrasse saßen u. Kaffee tranken, tauchte der Rechtsanwalt Hoffmann aus Berlin auf. Ich habe ihn nicht gesehen, seit die Nazis am Ruder waren, bzw. seit ich damals in Berlin war u. konvertierte. Ich hatte damals eine starke Abneigung gegen diesen ganz auf jüdischen Intellekt eingestellten Mann, sodaß ich den Verkehr [3] deshalb aufgab. Da dies grade zufällig mit dem Aufkommen der Nazis zusammenfiel, war mir in all diesen Jahren der Gedanke quälend, daß er glauben konnte, ich hätte deshalb den Verkehr mit ihm abgebrochen. Nun erschien er heute also wieder u. ich konnte feststellen, daß er diesen Gedanken wohl doch nicht gehabt hat. Er erzählte von seinen Schicksalen in der Nazizeit, die natürlich nicht leicht waren, aber sonst ist er genau wie früher. Solange er auf der Terrasse mit uns saß u. seine Geschichte erzählte, war er auch ganz nett, aber als ich dann mit ihm raufging, um ihm meine Bilder zu zeigen, kam auch dieser jüdische Intellekt wieder zum Vorschein u. reizte mich. Er bleibt 14 Tage hier u. ich bin froh, daß ich eine Woche davon in Rostock sein werde.

     Während ich ihm meine Bilder zeigte, kam die Frau von Robert Schneider. Sie berichtete aus Berlin, daß die Russen nach wie vor Industrien abbauen u. Erzeugnisse beschlagnahmen, sodaß es fast ausgeschlossen erscheint, daß sich die Wirtschaft erholen kann. Alles, was über den angeblichen Wiederaufbau in der Zeitung steht, ist Wahlmache der SED. Auch Hoffmann, der doch schließlich Grund hätte, den Russen u. der SED. Sympathie entgegenzubringen, hat nur ein vernichtendes Urteil darüber. Ebenso sehen die Landleute hier die Sachen an. Es werden von ihnen sehr hohe Abgaben gefordert, doch steht darüber natürlich kein Wort in der Zeitung. Es scheint fast so, als ob dieser Winter noch schlimmer werden würde, als der letzte, wenn man den glauben darf, was die Landleute sagen.

     Morgen muß ich meine Bilder verpacken, es wird viel Arbeit machen. Es werden dann sämtliche Bilder von mir fort sein, sodaß ich, wenn ich von Rostock zurück komme, ganz von vorne wieder anfangen kann. Es ist, als ob damit eine Periode ihren Abschluß gefunden hätte.