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TBHB 1945-11-30

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-11-30
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Freitag, 30. November 1945.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 30. November 1945
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Einführung

Der Artikel TBHB 1945-11-30 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 30. November 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Freitag, 30. November 1945.     

[1]      Heute ist der letzte Tag meiner Amtstätigkeit als Bürgermeister von Ahrenshoop, aber ein nicht wenig aufregendes Ereignis gestern Abend zeigte mir, daß damit noch keineswegs die ganze Plage u. auch nicht die Gefahr dieses Amtes ganz von mir genommen ist.

     Kurz nach 9 Uhr, – das Licht war eben angegangen u. wir wollten Radio hören, – donnerte es unten gegen die Türe. Ich ging runter u. machte Licht u. öffnete. Es trat der proletige junge Leutnant der Monheimer Russen ein, ohne Gruß, hinter ihm der Sergeant, ein eitler, hübscher Laffe u. dann schwer mit Gewehren u. Maschinen-Pistolen bewaffnete Unteroffiziere u. Soldaten, insgesamt 7 Mann. Der Leutnant, der Sergeant u. die Unteroffiziere setzten sich, die Leute mit den Waffen nahmen an der Tür Posten. Ein schlecht deutsch sprechender Unteroffizier übersetzte mir eine Rede des Leutnants, in der er behauptete, es hielte sich hier eine „Bande“ verborgen. Als ich ihm erklärte, daß das heller Unsinn sei, wurde der Leutnant fast tobsüchtig. Es trommelte u. hieb mit den Fäusten auf den Tisch u. schrie u. brüllte mich auf russisch an. Ich bewahrte eiserne Ruhe, erklärte dem Unteroffizier, er möge seinem Leutnant sagen, daß sein Gebrüll keinen Zweck hätte, da ich kein Wort davon verstünde, er möge mir lieber in Ruhe sagen, worum es sich handelte. So gelang es mir allmählich, den Aufgeregten zu beruhigen u. zu erfahren, was geschehen war.

     Nach Aussage eines der anwesenden Soldaten, einem jüdisch aussehenden Mann, der rote Schulterklappen trug, ist dieser gestern Abend bei anbrechender Dunkelheit am Dorfausgang nach Althagen von einem Deutschen angerempelt u. belästigt worden. Dieser Russe war derselbe, der am Sonntag vor 14 Tagen bei mir war u. ein Fahrrad verlangte u. den ich damals für einen Offizier gehalten hatte, da er eine Lederjacke ohne Rangabzeichen trug. Er muß aber wohl etwas Besonderes sein, was an den roten Schulterklappen zu erkennen ist, solche habe ich bei den Russen noch nie gesehen. Vielleicht ist er ein politischer Kommissar. – Kurz u gut, der Mann erzählte, es sei ein Deutscher gekommen u. habe ihn am Rockkragen gepackt u. etwas gesagt wie: „Franz, schieß doch!“ Dieser Mann habe sich dann in der Richtung auf das Dornenhaus entfernt. Es gab mir das die Möglichkeit, zu erklären, daß der Mann dann kein Ahrenshooper gewesen sein könne, das Dornenhaus gehöre nach Althagen. Ich sagte, daß dort vor 2 Tagen 400 fremde Flüchtlinge eingetroffen seien u. daß es sich möglicherweise um einen solchen handeln könne. Damit wehrte ich die erste Aufregung ab. Ich sagte weiter, daß ich überdies nicht mehr Bürgermeister sei u. daß sie sich an den neuen Bürgermeister wenden möchten. Sie verlangten, daß ich ihn holen solle, doch machte ich dem Leutnant klar, daß der neue Bürgermeister weit draußen wohne, noch hinter dem Monheim'schen Hause u. daß es mir unmöglich wäre, ihn jetzt zu holen; aber ich wolle die Gemeinde-Sekretärin holen. Ich ging also zum Hause König, es war draußen stockfinster. Martha versuchte es zuerst, kam aber zurück, weil sie das Haus nicht gefunden hatte so ging ich selbst. Auch ich war dabei mehrfach dicht daran, hinzustürzen, denn ich fand den Hauseingang nicht. Schließlich glückte es mir, Frau König aufzuwecken, u. ihr zu sagen, daß Ilse Schuster sofort zu mir kommen müsse. Sie lag schon im Bett u. es dauerte geraume Zeit, bis sie dann endlich zu mir kam.

     Es gab neue Schwierigkeiten, weil die Russen glaubten, Frau Sch. sei der neue Bürgermeister u. weil sie unzufrieden [2] waren, daß ich diesen nicht geholt hätte. Neue Auseinandersetzung u. neues Mißtrauen, neue Erregung. Der Leutnant schrie wieder, daß er das ganze Dorf antreten lassen wolle, um Einzelne erschießen zu lassen. Neue Beruhigung meinerseits. Die Russen beharrten auf der Ansicht, daß sich eine Bande im Walde verborgen halte, um Ueberfälle zu organisieren. Dagegen war nichts zu machen. So würde es in Rußland sein u. sie glauben, es wäre hier ebenso. Ich machte ihnen nun Vorschläge, was zu tun sei. Ich sagte, daß wir zuerst den Bürgermeister von Althagen benachrichtigen würden, ferner den Kommandanten von Althagen u. endlich die Kreispolizei. Ferner solle heute früh der neue Bürgermeister zu diesem Leutnant kommen u. mit ihm soll gleich Herr v. Achenbach als Vertrauensmann der Kommunisten auch hingehen.

     Der Leutnant sah nun wohl ein, daß ich alles tun wollte, was in meiner Macht stand u. daß im Augenblick jedenfalls nichts weiter zu tun sei. Er ließ mir erklären, daß er im Falle einer Wiederholung eines solchen Vorfalles nicht nur den neuen Bürgermeister, sondern auch mich verhaften lassen würde u. damit zog die ganze Bande endlich um 1/2 11 Uhr wieder ab. Wir atmeten erleichtert auf, aber ich muß gestehen, daß mich bisher noch kein Erlebnis mit den Russen so erregt hat, wie dieses. Es ist im höchsten Grade unheimlich, daß mir Verhaftung droht für Dummheiten, die von Flüchtlingen aus dem Nachbardorf begangen werden. Das kann sich ja jeden Augenblick wiederholen u. ich bin völlig machtlos.