TBHB 1945-06-29
Einführung
Der Artikel TBHB 1945-06-29 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 29. Juni 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Der gestrige Tag, an dem es pausenlos regnete, schloß wieder mit allerhand Aufregungen. Wir sollten für unseren Kommandanten Bettwäsche u. a. Dinge liefern u. hatten eben grade einen ähnlichen Lieferungsbefehl von den Kommandanten in Althagen mit Hilfe unseres Kommandanten abgewehrt. Unsere Schutzpolizisten, die den Auftrag hatten, die Wäsche zu unserem Kommandanten zu bringen, brachten sie statt dessen nach Althagen. Es mag sein, daß Paul einen unklaren Befehl gegeben hat, was aber nicht wahrscheinlich ist. Eher ist anzunehmen, daß die Schutzpolizisten nicht ordentlich hingehört haben. Jedenfalls war das Ganze eine große u. höchst unangenehme Pleite u. ich war ratlos, was wir tun sollten. Zunächst schickte ich zu unserem Kommandanten [2] u. ließ ihn um Aufschub unserer Lieferung bitten, denn es blieb ja nichts anderes übrig, als dieselbe Beschlagnahmung noch einmal zu wiederholen. Der Kommandant kam selbst, ließ die Schutzpolizisten holen u. schnauzte sie verdientermaßen gewaltig an. Er verlangte, daß sie Ersatz schaffen sollten, ohne nochmals zu requirieren u. als wir alle ihm klar machten, daß die Polizisten dazu nicht in der Lage wären, da sie Flüchtlinge wären u. eigene Wäschebestände garnicht besäßen, verlangte er, daß sie neu requirieren sollten aber dabei ausdrücklich sagen mußten, daß diese zweite Requisition nicht den Russen, sondern ihnen selbst zur Last gelegt werden müßte.
Nachdem diese Sache beigelegt war, übergab ich ihm eine Anzeige gegen Günter Kahlig, der konstant die Arbeit verweigert. Er ließ ihn sofort kommen u. machte ihm den Standpunkt klar. Er sagte ihm, daß er ihm im Wiederholungsfalle die Lebensmittelkarte entziehen werde u. wenn das nichts nütze, würde er ihn nach Rußland bringen lassen. – Nachdem er entlassen war, kam seine Mutter angelaufen u. versicherte dem Kommandanten, daß ihr Sohn gefährlich krank sei, daß er außerdem Künstler sei u. eine Anstellung am russ. Theater in Berlin habe. Letzteres ist ganz bestimmt gelogen. Auf den Kommandanten machte das alles auch nicht den geringsten Eindruck.
Nachher Ich ging dann mit dem Kommandanten zur Bunten Stube, wo wir zufällig den Sergeanten trafen, der den Althager Kommandanten z. Zt. vertritt u. der mir gestern durch unsere Schutzpolizisten mitteilen ließ, er wolle mich mitsamt unserem Kommandanten verhaften lassen, wenn wir seine Forderungen nicht erfüllten. Unser Kommandant redete mit ihm u. sie einigten sich, daß er die irrtümlich empfangenen Sachen wieder rausgeben solle. – Ich schickte noch am selben Abend die Polizisten hin, aber es hieß, der Sergeant sei nach Wustrow gefahren.
Heute Morgen erschien Kahlig sehr gemächlich um 10 Uhr, anstatt um 9 Uhr. Er kam gleich zu mir rein u. trug einen schweren Knotenstock in der Hand. Ich fragte, warum er erst jetzt käme, der Dienst begänne um 9 Uhr. Er erwiderte, daß er nur gekommen sei um zu fragen, wer ihn beim Kommandanten „denunziert“ habe. Ich verbat mir derartige Unverschämtheit u. sagte ihm, daß ich selbst ihn dem Kommandanten wegen Arbeitsverweigerung gemeldet hätte u. fragte ihn, ob er nun gewillt sei, die Arbeit aufzunehmen. Er redete darauf hin allerhand Zeug, er wolle sein Attest haben u. dergl. mehr u. ich warf ihn raus, indem ich ihn am Aermel anfaßte. Er erhob seinen Knüppel u. drohte, mich zu schlagen. Im Vorzimmer verlangte er dann abermals sein Attest u. als Dr. Hahn es abschrieb, meinte er, daß er ja nicht wissen könne, ob die Abschrift auch richtig sei. Herr Dr. Hahn kam zu mir rein u. sagte mir, daß Kahlig am laufenden Bande Beleidigungen gegen mich ausspräche. – Die Sache wurde dann unterbrochen, weil der Kommandant kam. Leider war Frau Konsi, die Dolmetscherin, im Augenblick nicht zu erreichen.
Inzwischen kamen die beiden Polizisten die gestern die Dummheit mit der requirierten Wäsche gemacht hatten. Sie waren abermals in Althagen [3] gewesen, aber heute wollte der Sergeant die Sachen nicht wieder rausgeben. Er war inzwischen in Wustrow gewesen u. hatte von dem dortigen Kommandanten die Weisung erhalten, die Sachen nicht wieder herauszugeben. Nun stehen wir wieder da, wo wir gestern abend waren.
Der Kommandant ist fortgegangen u. will wiederkommen. Inzwischen setzt Kahlig seine frechen Reden fort. Er kam nochmals zu mir rein, um mich zur Rede zu stellen, indem er behauptete, das Ganze sei von mir ein Racheakt, weil ich schon vor zwei Jahren einen Zusammenstoß mit ihm gehabt hatte.