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TBHB 1944-12-30

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1944-12-30
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Entstehungsdatum: 1944
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Originaltitel: Sonnabend, 30. Dez. 1944.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 30. Dezember 1944
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Einführung

Der Artikel TBHB 1944-12-30 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 30. Dezember 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Sonnabend, 30. Dez. 1944.     

[1]      Gestern Mittag Söhlke u. Frau. Er erzählte von der Erfassung der Halbjuden in Berlin u. derjenigen Arier, die Jüdinnen zur Frau haben, welche ebenfalls wie Halbjuden behandelt werden. Alle diese kommen zu den Leunawerken, wo sie mit Beseitigung von Trümmern beschäftigt werden. Auch der Mann der Frau v. Achenbach ist schon vor Wochen dorthin gekommen, während seine Mutter nach Theresienstadt gekommen ist, wo jetzt alle Volljuden konzentriert worden sind.

     Nachmittags Dr. Clemens mit s. Frau Marianne. Er ist auf Zwangsurlaub hier. Bisher durfte kein Mensch auf Urlaub gehen, damit die Arbeit keine Verzögerung erleidet, jetzt schickt die Verwaltungsbehörde in Hamburg alle Leute in Zwangsurlaub, um während einiger Tage Kohlen zu sparen. Um der Kohlennot zu steuern, werden sogar in Rüstungsbetrieben Kohlen beschlagnahmt zugunsten des Elektrizitätswerkes.

     Abends Prof. Seeberg. Er tobte, wie ich es noch nie bei ihm gesehen habe, weil in der Todesanzeige, die er in der DAZ für Bengt aufgegeben hatte, ein Bibelspruch fortgelassen war, den er aufgegeben hatte. Er sieht darin eine Beleidigung seines Sohnes: man habe von ihm, dem Marinepfarrer, wohl den Tod verlangt, verweigere ihm nun aber das christl. Bekenntnis. Die Zeitung kann sich natürlich immer hinter die Ausrede des Platzmangels verschanzen; aber S. behauptet, daß das Propaganda-Ministerium dafür verantwortlich sei, welches in den Todesanzeigen besonders betonte Bekenntnisse zum Christentum verboten habe. Er will sich nun beschweren u. grobe Briefe schreiben. Es mag wohl sein, daß es so ist, wie er sagt, – aber es nützt doch garnichts, – vor allem nicht, wenn er eine Beschwerde in der sinnlosen Tollwut anbringt, wie er sie gestern zeigte. Er schimpfte, fluchte u. gebrauchte gemeine Ausdrücke, sodaß mir kalt u. heiß wurde. Er machte den Eindruck eines Geistesgestörten; dann weinte er wieder, um gleich darauf fade Witze zu machen u. zu lachen. – Besonders Paul gab sich Mühe, ihn zu beruhigen u. ihn vor törichten Schritten zu bewahren, doch war das ergebnislos. Ich schwieg. – Ich verstehe nun, daß sein Sohn Ando sagt, der christl. Glaube sei Betrug. Dieser Glaube dieses Theologen ist in der Tat Betrug, u. alles, was dieser Mann seine Schüler lehrt, ist Betrug, an den er selbst nicht glaubt. –

     Paul hat von Prof. Curschmann ein sehr wirksames Attest erhalten, nach welchem er an Angina pectoris leidet u. dauernd ärztlicher Pflege bedarf. Er ist mir nun sehr dankbar, daß ich so hartnäckig darauf bestanden habe, daß er sich untersuchen lassen solle. Er wird nun nicht nach Schneidemühl zurückkehren, denn dieses Attest schützt ihn wohl auch vor jeder neuen Erfassung durch das Arbeitsamt. –

     Der Tod hält weiter reiche Ernte. Auch Scheinecke ist mit seinem Schiff untergegangen. Der Maler Oberländer, der in diesem Sommer sich mit Doris Seeberg verheiratete, nachdem er im vorigen Jahre Witwer geworden war, ist einige Wochen nach der Hochzeit zum Militär eingezogen worden. Er war 59 Jahre alt. Offenbar hat er die Strapazen nicht ausgehalten u. er ist in einem Lazarett in Schlesien gestorben. Ebenso ist der Gastwirt [2] Strauven, der in Prerow das Dünenhaus betrieb u. ebenfalls vor Kurzem zur Wehrmacht einberufen wurde, dort gestorben. Man muß erwarten, daß der hiesige Gastwirt Holzerland, der ebenfalls eingezogen ist, dasselbe Schicksal erleidet, – noch lebt er freilich. Wenn ich nicht mein zerbrochenes Bein hätte, wäre es mir schon längst so gegangen.

     Heute ist Schneetreiben bei starkem Südwest.

     Die Offensive im Westen scheint sich endgültig festgelaufen zu haben. Seit zwei Tagen sind wir auch in der Tiefe nicht mehr weiter voran gekommen, von den Flanken ganz zu schweigen. Gestern hieß es im Heeresbericht, daß eine große „Begegnungsschlacht“ im Gange sei, was ja nur so viel bedeuten kann, daß die Amerikaner nunmehr eine geschlossene Armee in den Kampf geworfen haben, die die Aufgabe des Angriffs hat u. nicht mehr bloße Verteidigung. Der Ausgang dieser Schlacht, die wohl einige Tage anhalten wird, dürfte nicht zweifelhaft sein, denn die Amerikaner werden natürlich alles aufbieten, was sie haben, um diese große Chance, uns entscheidend schlagen zu können, auszunutzen. Und sie haben sehr viel! –

     Soeben, – es ist 3/4 10 Uhr, – kommt Grete zu mir u. sagt, Deutschmann sei eben dagewesen u. habe bestellt, daß der „Volkssturmmann Brass“ am 1. Jan. 1945 auf dem Bahnhof in Prerow zur Vereidigung zu erscheinen habe. Er habe hinzugefügt, daß jeder wisse, daß ich ein krankes Bein hätte u. nicht nach Prerow gehen könne u. daß ein Wagen nicht zur Verfügung stehe. So viel ich gehört habe, ist der bisherige Ortsgruppenleiter in Prerow, der Lehrer Köller, ebenfalls zur Wehrmacht eingezogen worden, – es scheint also ein anderer Ortsgruppenleiter jetzt dort zu wirken, vielleicht aus Barth oder Stralsund, der mit der Bahn eintreffen wird u. der deshalb den Volkssturm auf den Bahnhof kommen läßt. – Nun, wegen meiner Person kann sich dieser Mann die Reise nach Prerow sparen, ich werde dort nicht erscheinen.