Zum Inhalt springen

Systematische Prügel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Systematische Prügel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 92
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[92] Systematische Prügel. In Amerika ist kürzlich, wie die Zeitungen berichten eine Prügelmaschine erfunden worden mit welcher gleichzeitig an zwölf Kindern die Ruthenstrafe sehr energisch vollzogen werden kann. Sollte dieser geniale Gedanke nicht in besonderem Grade das Interesse derjenigen Kreise der deutschen Lehrerwelt erregen, von denen seit einigen Jahren das Recht beliebigen Prügelns in den Schulen zu einem Gegenstande emsiger Studien und entschiedener Vertheidigung gemacht worden ist? Die großen Erziehungslehrer und pädagogischen Reformatoren der von mancher Seite her jetzt als „überwunden“ erklärten Humanitätsepoche, Rousseau und Basedow, Pestalozzi und Diesterweg, haben bekanntlich das bis dahin zu den notwendigen Erziehungsmitteln gerechnete Schlagen der Kinder im Principe bekämpft und zwar aus Gründen der pädagogischen Nützlichkeit sowohl, wie der Humanität und des natürlichen Zart- und Würdegefühls. Seit Jahrzehnten hat auch die Wissentliche Meinung und die ganze Strömung des Zeitgeistes dieser Auffassung zweifellos sich angeschlossen, und auch die Staatsgesetze haben derselben durch Beschränkung des Züchtigungsrechts und durch Schutzmaßregeln gegen Ueberschreitungen Rechnung getragen. Das „Hauen“ war dadurch in den deutschen Schulen zwar im Ganzen nicht beseitigt, aber doch mehr oder weniger durch die Vorsicht, welche prügellustige Lehrer sich auferlegen mußten, auf ein bescheidenes Maß beschränkt worden, Eine vollständige Abschaffung schien nur noch eine Frage der Zeit und der steigenden Gesittung zu sein.

Da kam in den zehn Jahren nach 1848 die gewaltsame Einführung einer pietistisch-orthodoxen Dressur der Volksjugend durch die zelotischen Parteiminister Raumer und Mühler, es kamen die berüchtigten schwarzen Schulregulative. Dieses System brachte auch die Prügel wieder zu vollen Ehren. In der Guido Weiß’schen Zeitschrift „Die Wage“ hat Eduard Sack neuerdings den verdienstvollen Nachweis geführt, wie sehr die Herrschaft jener „gläubig-frommen“ Pädagogik der Prügelstrafe in den Schulen Vorschub geleistet hat. Züchtigung, Kasteiung und Demütigung des Fleisches zur Austreibung des alten „Adam“ ist ja ohnedies eine der Lieblingsforderungen auch unserer modernen Frömmlinge, und ginge es nach ihnen, so würden auch den Erwachsenen diese „Seelenerfrischungen“ oft und reichlich zu Theil. Im Uebrigen aber widersetzte sich die Natur der Kinder der ihr zugemuteten grausamen Ueberladung mit religiösem Gedächtnißstoffe. Wollte der Lehrer bei der strengen Schulrevision vor seinen geistlichen Vorgesetzten bestehen, so mußte er seinen Schülern die massenhaften Gesangbuchslieder und Bibelsprüche, welche sie jederzeit sollten hersagen können, durch das Hülfsmittel der Schläge einzubläuen suchen. Der Erfolg aber zeigt sich setzt deutlich in dem Wehegeschrei aller dieser Zionswächter über den Abfall, die Irreligiosität und „Entartung“ desselben Geschlechts, das sie in den Tagen ihrer Macht in den pietistisch gestalteten Schulen durch frühe Brechung des Lebensmuthes zu glaubensvoller Unterwürfigkeit hatten dresiren wollen.

Die Regulative waren ein unhaltbares Experiment fanatischen Parteiübermuthes, das aber mit der Alleinherrschaft dieser Partei nicht gefallen ist, ohne erhebliche Schäden im Schulwesen zurückzulassen. Die meistens im Amte gebliebenen Vertreter der „frommen“ Richtung bemühen sich auch, von dem System einstweilen zu retten, was zu retten ist, und so ist ihnen namentlich das Prügelwesen, das „Strafrecht des Lehrers“, eine jener Herzensangelegenheiten, die sie mit aller Wärme des Eifers als „Zucht der göttlichen Ordnung wider die falsche Humanität revolutionärer Tagesschriftsteller und Gemeindeobrigkeiten“ zu verteidigen suchen. Wir haben uns einige diesen Erörterungen gewidmete Schriften herbeigeschafft und wirklich gestaunt über den angestrengten Fleiß, mit dem hier der widerwärtige Gegenstand zu dem Range einer wissenschaftlichen Frage erhoben werden soll. So stellte vor einigen Jahren der gläubig-regulative ostpreußische Provinzialschulrath Bock seinen Lehrern die Preisaufgabe: Wie die Ueberschreitung der körperlichen Züchtigung (nicht etwa diese selbst) gründlich zu beseitigen sei? Es gingen zweiunddreißig Arbeiten ein, den Preis aber erhielten nur solche, die den Beweis führten, daß das Schlagen in den Schulen nicht zu entbehren wäre. Verschiedene der Einsender bekundeten einen Standpunkt, für den uns die parlamentarische Bezeichnung fehlt. Die schmerzhaften Rutenstreiche auf die innere Hand nennen diese zeitgenössischen Pädagogen eine bloße „Spielerei“. Einer verlangte eine aus ledernen Riemen geflochtene Peitsche. ein Anderer eine richtige Reitpeitsche, ein Dritter einen haltbaren Stock. Genug davon! Wenn aber solchen Discussionen einmal freier Lauf gelassen wird, so wirken sie ansteckend auch auf weitere Kreise. Einer der bemerkenswertesten Vorgänge in dieser Hinsicht hat sich vor drei Jahren in Dresden ereignet. Auf Veranlassung der städtischen Schuldeputation hat dort die Directoren-Conferenz über die Schulprügel in einer amtlichen „Darlegung“ sich geäußert, die sogar Ostern 1874 im Programm der öffentlichen Volksschulen Dresdens veröffentlicht wurde. Die Herren haben der Aufgabe den hingebendsten Mannesernst gewidmet, ein förmliches System möglichst schmerzhaften, aber unschädlichen Prügelns haben sie aufgestellt und man muß diese Untersuchungen lesen, um den Scharfsinn und die minutiöse Genauigkeit bewundern zu können, mit der hier über die körperlichen Stellen gehandelt wird, auf welche geschlagen, und über das Instrument, das zum Schlagen benutzt werden soll.

Wir wissen nicht, wie groß die Zahl deutscher Schulmänner ist, die heute noch den Stock für eines der notwendigsten Mittel ihres Berufes halten. Aber einen in hohem Grade befremdenden Eindruck hat es doch weit und breit gemacht, als vor Kurzem aus dem Erfurter Lehrertage auch ein Lehrer freisinniger Richtung mit starkem Eifer für das Kinderprügeln eingetreten ist. Wir sind gewiß die Letzten, welche die ungeheuren Schwierigkeiten im Berufe und in der Stellung des Lehrers verkennen und ihm nicht auch für ganz besondere Fälle eingreifende Strafmittel gestatten möchten. Die sogenannte „falsche“ Humanität aber weiß sehr wohl, was sie will, wenn sie gegen jedes beliebige Prügeln sich erklärt. Nicht alle Lehrer sind Engel, und in den Schulen sollten die Schläge schon deshalb nicht conservirt werden, weil sie den jungen Seelen das Beispiel einer Strafart geben, die außerhalb der Schule doch als unbedingt roh, als unzweifelhaft häßlich aus den Kreisen der guten Sitte verbannt worden ist.