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Stunden der Andacht/Zug des Oberpriesters nach und aus dem Tempel

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« Zu Mussaf des Versöhnungstages Stunden der Andacht Seelengebet »
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[57]
Zug des Oberpriesters nach und aus dem Tempel.
Beschreibung

von dem Einzuge des Hohepriesters in das Heiligthum, und dessen Auszug aus demselben. Nach einer Schilderung eines vornehmen Römers, der dieselbe schriftlich hinterlassen, und die im שבט יהודה‎ sich vorfindet.[1]

Sieben Tage vor dem ausgezeichnetsten des Jahres, dem Versöhnungstage, wurden in dem Hause des Hohepriesters Thronsitze [58] aufgestellt für das Oberhaupt der geistlichen Behörde und deren Fürsten, für den Hohepriester und dessen Stellvertreter, und für den König. Außerdem noch siebzig silberne Stühle für die siebzig Senatoren.

Sodann trat aus ihrer Mitte der Aelteste der Priester vor den Hohepriester hin und richtete folgende inhaltsschwere Ansprache an ihn: „Bedenke wohl, vor Wem du zu erscheinen, und Wessen Dienst du zu verrichten hast. Wenn während der erhabenen Feier die heiligen Gefühle der Andacht dich verließen, dann würdest du nicht nur dein Leben verwirken, sondern auch das Volk um seine Versöhnung bringen. Drum sind auch die Augen von ganz Israel auf dich gerichtet. Prüfe sorgfältig deinen Wandel, blicke in dein Herz, ob du von keiner Sünde dich belastet fühlst. So klein oft eine Sünde dem Menschen dünkt, so groß ist sie in Gottes Augen. Auch den Wandel deiner Brüder, der Priester, prüfe wohl, und reinige sie. Bedenke wohl, daß du hintrittst vor den allsehenden Richterblick des Königs aller Könige – wie wolltest du nun kommen mit dem Feind (der Sünde) in deinem Busen?

Darauf entgegnete der Angeredete, daß er bereits sein Herz geprüft und Buße getan wegen Alles, was ihm Sündiges schien in seinem Wandel. Auch seine Brüder, die Priester, habe er bereits in den Hallen des Heiligthums versammelt, und sie bei dem Namen Dessen beschworen, dessen Dienst sie dort versehen, daß Jeglicher reumüthig und offen bekenne, was er selber oder sein Nächster gesündigt gegen Gott, auf daß ihnen die Buße dafür auferlegt werde.

Auch der König redete sodann den Hohepriester wohlwollend an, und gab ihm die Zusicherung, ihn zu ehren, wenn er in Frieden, nach Beendigung der hohen Feier, aus dem Heiligthume heimkehren würde.

Hiernach ward öffentlich durch Herolde kund gethan, daß der Hohepriester sich anschickt, seine Gemächer im Heiligthume zu beziehen, da strömte alles Volk herbei, um dem ordnungsmäßigen Zug zu begegnen. Zuerst zogen alle die, die des königlichen Stammes waren, dann die Abkömmlinge aus dem Hause David reihenmäßig die Einen nach den Andern. Und die Herolde riefen aus: Gebt Ehre dem Königthum des Hauses David! Dann folgte der Stamm Levi, und die Herolde riefen: „Gebt Ehre dem Hause Levi! – Sechs und dreißig tausend waren ihrer, die Anführer an ihrer Spitze, trugen himmelblaue Seidenmäntel. Die [59] Priester, vier und zwanzig tausend an der Zahl, trugen weißseidene Gewänder. Dann kamen die Sänger, dann die Tonkünstler, dann die Trompeter, dann die Pförtner, dann Jene, welche das Räucherwerk zubereiten, dann die Verfertiger der heiligen Vorhänge, dann die Ehrenwächter, dann die Archivare, dann ein Trupp, genannt Cartophelos, dann alle übrigen Geschäftsverwalter des Heiligthumes, dann die siebzig Senatoren, dann hundert Priester mit silbernen Aexten zum Platzmachen, dann endlich der Hohepriester, von allen ältesten der Priester paarweise gefolgt. An den Straßenecken waren die Häupter der Hochschulen aufgestellt, die folgender Weise ihn begrüßten: O Herr, o Hohepriester, zieh hin in Frieden. Bitte den Schöpfer, daß er uns das Leben lasse, um seiner Thora es zu weihen.

Angekommen an der Pforte des Tempelberges, erhoben sie ein Gebet für die Erhaltung des Davidschen Königshauses, dann für die Priester in dem heiligen Tempel. Das Amen, das darauf aus hunderttausend Kehlen emporstieg, erscholl so mächtig, daß die Vögel in den Lüften zu Tode erbebten.

Darauf neigte sich der Hohepriester vor dem Volke, und schied weinend und bangen Gemüthes aus seiner Mitte. Darauf geleiteten ihn zwei Priesterhäuptlinge in seine Gemächer, allwo er von seinen Collegen, den Priestern, Abschied nahm, und von Allen getrennt, die sieben Tage verlebte. Also war der Einzug.

Der Heimzug aber war noch einmal so herrlich. Vor dem Hohepriester her zog alles Volk Jerusalems, weiß gekleidet, mit weißen brennenden Wachskerzen in der Hand, alle Fenster waren mit Teppichen behangen und festlich erleuchtet. Selten gelang es dem Hohepriester, durch den großen Volksandrang aufgehalten, vor Mitternacht sein Haus zu erreichen; denn keiner mochte sich entfernen, ohne wo möglich die Hand des Hohepriesters geküßt zu haben.

Tags darauf feierte er mit seinen Verwandten und Freunden ein großes Fest, weil er in Frieden die hohe Feier beendet und das Heiligthum wohlbehalten verlassen hatte. Dann gab er einem Goldschmied den Auftrag, eine goldene Platte anzufertigen, darauf folgende Inschrift kam: Ich, der Hohepriester N. N., Sohn des Hohepriesters N. N., habe an dem hochherrlichen Heiligthume den hochpriesterlichen Gottesdienst versehen, in dem Jahre so und so nach der Weltschöpfung. Der mich dieses [60] Amtes würdig hat befunden, Er möge auch meinen Sohn der Würde theilhaft werden lassen, den hohen Dienst in seinem Hause zu verwalten.


  1. Der würdige Herr Dr. Letteris hat das Verdienst, auf diese schöne Schilderung im שבט יהודה‎ aufmerksam gemacht zu haben.