Stunden der Andacht/Eine Mutter für ihr erwachsenes krankes Kind
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„Geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen,
matten Docht nicht auslöschen.”
(II. Jes. 42, 3.)
Schwerer Kummer lastet auf meinem Herzen, o Gott, mein Kind, das vielgeliebte, theure, das ich mit Schmerz und Freude, mit Mühen und Sorgen auf und groß gezogen, es liegt darnieder, krank und siech, seine Kraft gebrochen und sein theueres Haupt von Gefahr umdroht.
Erhalte mir, Allgütiger, das kostbare Geschenk, das du mir gegeben, schenke mir nochmals das Kind, womit deine Gnade mich beglückt hat, und das mir höher als alle Schätze und Güter der Erde gilt, wende von ihm ab das Unheil, wehre dem Uebel, daß es seiner sich nicht bemächtige, es nicht in der Blüthe seiner Jahre dahin raffe, und sein junges Leben inmitten seiner Laufbahn abschneide.
Sieh, Gott, meine Angst, meine Kniee wanken und mein Herz bricht vor Weh und Leid. Nicht durch Klagetöne und Worte vermag ich meinen Jammer auszudrücken, Mutterschmerz hat nicht Worte, Muttergram hat nur Thränen, und Thränen heiß und glühend entströmen meinen Augen! O, daß sie zu dir aufsteigen möchten, bei dir Eingang fänden und deine Hand sie wieder niederträufeln ließe als kühlenden Thau, als heilenden Balsam auf meines Kindes Haupt.
O, mein Gott, wenn du einer Mutter frommen Segensspruch so wohlgefällig aufnimmst, daß er ihrem Kinde oft Heil bringt für das ganze Leben; sollte nicht auch einer Mutter frommes inbrünstiges Flehen bei dir, o Gott, wohl aufgenommen werden und deine Hilfe, deine Rettung, deine Gnade auf ihr Kind herabrufen! Allbarmherziger! Du bist mein Stab und meine Stütze, auf deine Gnade hoffe ich und auf deine grenzenlose Güte! Wenn durch Fehl und Schuld ich oder mein Kind dies Ungemach über uns hereingerufen, so laß dein Erbarmen walten, laß deine Huld versöhnend sich zu uns wenden, laß seine Leiden und meinen Schmerz dir zur Sühne sein, und deine Vergebung und dein Heil uns bringen. Amen.