Stunden der Andacht/An einem allgemeinen Fasttage
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„Also spricht der Herr: Die Fasttage werden
sich in Freuden- und Wonnetage verwandeln,
so ihr nach Frieden und Wahrheit
strebet.“
(Sechar. 8, 19.)
Ewiger, Gott unserer Väter! Erschöpft von Fasten und Kasteien, mit wankenden Kniern, mit bebenden Lippen treten wir vor dich hin, um dein Erbarmen und deine Gnade für uns anzurufen. Schwach und zum Bösen geneigt ist das menschliche Herz, die Sünde feiert ihre Triumphe darin, der Uebermuth und die Härte breiten sich darin aus; doch indem wir am Fasttage den sinnlichen Genüssen uns entziehen, lehren wir unser Herz gegen ihre Lockungen und Versuchungen stark und fest werden, und ihrem mächtigen Reize widerstehen. Indem wir fasten und unsern Leib kasteien, erkennen wir durch unsere Erschöpfung die Hinfälligkeit und Ohnmacht unseres Wesens, und die Demuth ziehet wieder bei uns ein. Indem wir die nothwendigsten Bedürfnisse uns versagen, der Entbehrungen Qual und Schmerzen uns fühlbar werden, öffnet sich unser Herz dem Mitgefühl für den Armen und Dürftigen neben uns, der ja oft die dringendsten Bedürfnisse nicht befriedigen kann.
Wo der Fasttag eine solche Wirkung in uns hervorruft, da ist er ein Tag der Gnade und des Wohlgefallens vor Gott. Doch der Fasttag, an dem der Mensch sich kasteiet und dabei der Sünde nachgeht, der ist dem Ewigen ein Gräuel.
Also spricht der Herr: „Das ist ein Fasttag, daran ich mein Gefallen habe.“ Oeffne die Ketten des Frevels, löse die Bande des Gebeugten, die Bedrückten laß frei, jedes Joch zerreiße, dem Hungrigen brich dein Brod, dem Obdachlosen bringe in dein Haus, den Nackten kleide, verbirg dich nicht vor deinem Fleische, und es wird dein Licht anbrechen, wie die Morgenröthe, und dem Heil gar schnell emporsprießen, es gehet dann deine Frömmigkeit vor dir her, und Gottes Herrlichkeit beschließt den Zug. Du rufest, Gott antwortet, flehest, und er spricht: „Hier bin ich.“ – O daß mein Fasten dir, mein Gott, ein solch wohlgefälliges sei, daß es nicht bloß erschöpfend auf meinen Leib wirke, sondern auch erhebend und veredelnd auf meinen Geist und auf mein Herz, daß du meine Kasteiung freundlich von mir annehmen mögest, als ein Sühnopfer, als ein Zeichen meines aufrichtigen Willens nach deinen [39] Geboten zu leben und zu handeln, auf daß ich mich stets erfreue deiner Huld und deines Wohlgefallens, auf daß du mich, mein Gott, erhörest, wann und wo ich dich anrufe, auf daß du bleibest mein Hort und mein Helfer, mein Licht und meine Leuchte zu allen Zeiten. Amen.