Stanleys Briefe über Emin Paschas Befreiung
[130] Stanleys Briefe über Emin Paschas Befreiung. Keine der afrikanischen Expeditionen der Neuzeit wurde von der gesammten Welt mit so großem Antheil verfolgt wie die Expedition Stanleys zur Befreiung Emin Paschas. Lange Zeit hindurch war das Schicksal beider Helden dieses Dramas ungewiß und die Welt in Europa und Amerika wurde lediglich durch „afrikanische Gerüchte“ beunruhigt, welche bald Stanley todt sagten, bald ihn und Emin in der Gefangenschaft der Mahdisten schmachten ließen. Da kamen die ersten Briefe von Stanley an und mit wachsender Spannung konnte man den Gang der Ereignisse bis zur glücklichen Ankunft an der Ostküste verfolgen. Stanley und seine Offiziere haben in Afrika fleißig geschrieben, die Sammlung der Briefe ergiebt ein kleines Buch von 8 Druckbogen. Der Inhalt dieser Briefe ist in den Tageszeitungen wiedergegeben worden, aber die Wiedergabe selbst erstreckte sich naturgemäß auf so lange Zeiträume und war mitunter so unvollständig, daß J. Scott Keltie, Bibliothekar der Königlichen Geographischen Gesellschaft in London, gewiß vielen einen guten Dienst erwies, als er die Briefe sammelte und als ein Buch herausgab. Dieses ist im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig auch in deutscher Uebertragung erschienen und bietet uns die beste Auskunft über die Schicksale und geographischen Erfolge der Expedition, die beste Auskunft, bis Stanley selbst sein Werk über die Expedition geschrieben haben wird. Was nun die Hauptfrage, die Befreiung Emins selbst, anbelangt, so sind die Briefe reich an werthvollen Auskünften, aber ebenso reich an Räthseln. Doch gewinnt es den Anschein, daß der Hauptpunkt in den Gegensätzen zwischen Stanley und Emin in der Würdigung der Länder am oberen Nil von seiten beider liegt. Für Stanleys Auffassung ist die Instruktion bezeichnend, die er am 18. Januar 1889 brieflich seinem Offizier Jephson, der bei Emin weilte, ertheilt: „Seien Sie freundlich und gut gegen ihn (Emin)“, schreibt Stanley, „wegen seiner vielen Tugenden, lassen Sie sich aber nicht auch von der verderbenbringenden Fascinirung erfassen, welche das Gebiet des Sudan in den letzten Jahren für alle Europäer gehabt zu haben scheint. Sobald sie seinen Boden betreten haben, scheinen sie in eine Wirbelströmung gezogen zu werden, welche sie hinabsaugt und mit ihren Wogen bedeckt. Das einzige Mittel, ihr zu entgehen, ist, allen Befehlen von auswärts blind ergeben und ohne zu fragen, zu gehorchen.“
An einer anderen Stelle schreibt Stanley an denselben Offizier: „Ich bemerkte, daß ich Ihre Briefe ein halbes Dutzend mal gelesen hätte, und bei jedesmaligem Lesen änderte sich meine Ansicht von Ihnen. Zuweilen glaube ich, daß Sie halb Mahdist oder Arabist, dann daß Sie Eminist sind.“ Diese und ähnliche Stellen lassen uns annehmen, daß der „Gegensatz“ zum großen Theil derselbe war, der auch zwischen Gordon und der englischen Regierung geherrscht hat. Ob noch andere Fragen dabei eine wichtige Rolle spielten, und welcher Art diese Fragen waren, das kann niemand aus den Briefen herausklügeln. Die Mühe dürfte auch wenig lohnen. Das bedeutsame Aktenmaterial, welches in den Briefen enthalten ist, wird ja bald vervollständigt werden; denn wie wichtig auch die vermeintlichen Interessen der Engländer in der Aequatorialprovinz sein mögen, sie sind kein Staatsgeheimniß der hohen Politik, welches Jahrzehnte lang verschwiegen wird. Es ist zu hoffen, daß, selbst wenn der Stumme von Bagamoyo nicht so bald im stande sein sollte, Aufklärung zu geben, die Reisewerke Stanleys und seiner Gefährten in nächster Zeit genügendes Licht über diese Fragen verbreiten werden. Einen bleibenden Werth werden aber diese Briefe für die geographische Forschung behalten; hier werden die wichtigen Fragen der Nilseen unter dem frischen unmittelbaren Eindruck erörtert, und stets wird es einen hohen Genuß gewähren, zu lesen, wie nach und nach Vermuthungen geklärt werden und ein einziger kühner Vorstoß eine ganze Reihe sinnreicher Kombinationen über den Haufen wirft.