Sittlichkeitspolizei
Literatur:
[Bearbeiten]- Otto Mayer in Stengel: Wörterbuch s. v. „Sittenpolizei“.
- Ferner die Lehr- und Handbücher des Verwaltung- und Polizeirechts,
- die Wörterbücher des Verwaltungsrechts und der Staatswissenschaften sowie des Polizeirechts.
- Ausserdem:
- Betmann: Die ärztliche Ueberwachung der Prostitution. Jena 1905.
- Blaschko: Hygiene der Prostitution. Jena 1900.
- Wolzendorf: Polizei und Prostitution. (Tübingen 1911.)
- Neher: Die geheime und öffentliche Prostitution usw. (Paderborn 1912) –
- Zeitschrift zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, herausgegeben von Blaschko. Bd. 1ff (Leipzig 1903ff.)
- Albert Moll: Handbuch der Sexualwissenschaften, Bd. I. (Berlin 1912.)
Die Aufgaben der Sittlichkeitspolizei sind grundsätzlich keine anderen, wie die der Polizei überhaupt, nämlich: „die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehende Gefahren zu treffen“. So hat sie das Allgemeine Landrecht für die Preussischen Staaten (II, 17 § 10) bezeichnet und dem haben sich die übrigen deutschen Gesetzgebungen ausdrücklich oder stillschweigend angeschlossen. Es gehört also nicht dahin die Erziehung des einzelnen zu geschlechtlicher Sittlichkeit. Sie bildet zweifellos eine der Kulturaufgaben des Staates, die aber nur erfüllt werden kann durch mittelbare Einwirkung: Sorge für sittliche Erziehung im allgemeinen und Ausschaltung der sozialen Misstände, die geschlechtliche Unsittlichkeit befördern. Im übrigen ist das Geschlechtsleben eine höchst persönliche Angelegenheit, mit der sich Strafrecht und Polizei nur zu befassen haben, soweit dadurch Rechte anderer Personen oder die öffentliche Ordnung verletzt wird. Das ist der Fall, wenn Personen geschlechtlichen Wünschen anderer wider ihren Willen dienstbar gemacht werden sollen durch Gewalt, Missbrauch des Ansehens, Betrug usw., oder wenn man einen geschlechtlichen Angriff gegen Personen richtet, die wegen ihres jugendlichen Alters oder ihrer geistigen Minderwertigkeit eine zutreffende Vorstellung von der Bedeutung der Handlungen nicht haben können, zu deren Vornahme oder Duldung sie sich bestimmen lassen.
Weiter aber schützt der Staat nicht nur die Geschlechtsehre, sondern auch das geschlechtliche Schamgefühl gegen Verletzungen durch unzüchtige Handlungen im weitesten Sinne des Wortes. Dahin ist auch die Bestrafung einzelner Betätigungen des Geschlechtstriebes zu rechnen, die nicht eine Verletzung des Rechts der beteiligten Personen, wohl aber des allgemeinen Sittlichkeitsbewusstseins darstellen, die so gross ist, dass sie dem durchschnittlichen Empfinden unerträglich erscheint, so vor allem Blutschande und widernatürliche Unzucht. Die Strafwürdigkeit dieser Handlungen, insbesondere die Betätigung homosexueller Neigungen wird bekanntlich neuerdings heftig bestritten – ob mit Recht oder Unrecht, kann hier nicht untersucht werden.
Unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der öffentlichen Ordnung wird in einzelnen deutschen Bundestaaten der Konkubinat mit Strafe bedroht. So in Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Braunschweig. Reichsrechtlich werden aus dem gleichen Grunde bestraft die aus Gewinnsucht hervorgehende Unterstützung der Unzucht durch dritte Personen, namentlich durch Kuppelei und Zuhältertum, sowie die bewusste Reizung des Geschlechtstriebes durch unzüchtige Darstellungen in Wort, Schrift und Bild. Gerade die, kurz gesagt, Verbreitung unzüchtiger Schriften bereitet praktisch erhebliche Schwierigkeiten. Das Geschlechtsleben kann nicht einfach totgeschwiegen werden. Es bildet einen der wissenschaftlichen und künstlerischen Behandlung durchaus zugänglichen Gegenstand. Der Staat könnte ohne eine Vergewaltigung der wissenschaftlichen und künstlerischen [179] Kultur die Untersuchung und Darstellung geschlechtlicher Probleme gar nicht untersagen. Das gilt nicht nur für Wort und Schrift, sondern ebenso für die bildende Kunst. Hier kann z. B. die Wiedergabe des nackten menschlichen Körpers nicht verboten werden, ohne der Kunst unerträgliche Beschränkungen aufzuerlegen. Dass der Anblick eines nackten menschlichen Körpers in Natur oder in einem Kunstwerke die geschlechtliche Sinnlichkeit erregen kann, ist zweifellos. Ebenso zweifellos aber ist, dass das keineswegs auch nur regelmässig der Fall sein müsste. Hier gibt die Individualität des Betrachters den Ausschlag. Aber weil in einzelnen Menschen der Anblick jedes halbwegs geeigneten Gegenstandes unzüchtige Empfindungen auslöst, kann man die Mehrzahl der reinlich Denkenden nicht wertvoller Kulturgüter berauben und der Wissenschaft und Kunst Fesseln anlegen. Es wird deshalb unzüchtig eine Darstellung im wahren Sinne des Wortes nur genannt werden dürfen, wenn sie dazu bestimmt ist die geschlechtliche Sinnlichkeit zu erregen. Ein wirkliches Kunstwerk ist darum ebensowenig jemals unzüchtig wie ein Werk der Wissenschaft. Selbstverständlich werden im einzelnen Falle Zweifel über die Unzüchtigkeit einer bestimmten Darbietung möglich sein. Aber je weniger engherzig die Behörden darüber urteilen, um so wirksamer werden sie die wirkliche Pornographie bekämpfen können.
Den Sittlichkeitsdelikten gegenüber ist es nun Aufgabe der Polizei, zunächst die Begehung dieser Handlungen zu verhindern, so weit das möglich ist. Gerade gegenüber unzüchtigen Darbietungen ist das besonders wichtig – ihre schädliche Wirkung kann durch nachträgliche Bestrafung nicht wieder aufgehoben werden. Die Mittel der Prävention sind natürlich verschieden je nach der Art der Darbietungen. Zunächst kommen dabei in Betracht die Aufführungen in Theatern, Tingeltangeln, Kinematographen usw. Hier gewähren die allgemeinen Vorschriften der Gewerbeordnung eine ziemlich weitgehende Möglichkeit der Überwachung von Unternehmern und Unternehmungen. Ausserdem aber kann die Polizei auf Grund ihrer allgemeinen Befugnis eine Zensur ausüben und alle Vorführungen untersagen, die durch ihre Beschaffenheit, namentlich auch durch Verletzung des geschlechtlichen Anstandes, die öffentliche Ordnung stören. Tatsächlich wird von diesem Recht auch regelmässig Gebrauch gemacht; in welchem Umfange, das ist freilich dem Taktgefühl der einzelnen Behörden überlassen. Wünschenswert wären besondere Bestimmungen für Kinematographen, deren zunehmende Verbreitung keineswegs ausschliesslich erfreulich ist. Wenn diese Anstalten auch bei guter Leitung sogar ein wertvolles Bildungsmittel abgeben können, so legt doch die Möglichkeit, allerlei aufregende Vorgänge plastisch vorzuführen, die Versuchung zum Missbrauch sehr nahe. Das ist umso bedenklicher, als ein grosser Teil der Besucher aus unerwachsenen Personen besteht. Dass deren Entwicklung nicht bloss durch unzüchtige, sondern auch durch allerlei abenteuerliche Vorführungen leicht unerwünscht beeinflusst werden kann, ist klar. Es gilt hier dasselbe wie bei der sog. Schundliteratur, deren Gefahren auch durchaus nicht in der Erregung der geschlechtlichen Phantasie allein zu finden sind. Bei den Kinematographen wäre es wohl erwägenswert, ob nicht ihr Besuch Unerwachsenen überhaupt zu untersagen, oder wenigstens auf Vorstellungen zu beschränken wäre, deren Programm alle „sensationellen“ Nummern ausschliesst. In diesem Sinne sind in der neusten Zeit in einzelnen Bundesstaaten Gesetze und Verordnungen erlassen. Gründliche Abhilfe kann nur ein Reichsgesetz schaffen.
Gegenüber unzüchtigen Presserzeugnissen steht der Polizei das Recht der vorläufigen Beschlagnahme auf Grund § 23 des Pressgesetzes zu. Die sachgemässe Ausführung wird erleichtert durch das internationale Abkommen zur Bekämpfung der Verbreitung unzüchtiger Veröffentlichungen vom 4. Mai 1910 (s. R. G. B. 1911 S. 209 ff.). Die beteiligten Regierungen (einstweilen Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Belgien, Brasilien, Dänemark, Spanien, Vereinigte Staaten von Amerika, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Niederlande, Portugal, Russland und Schweiz) verpflichten sich darin, je eine Behörde einzurichten oder zu bezeichnen, der es obliegt, alle Nachrichten zu sammeln und mitzuteilen, welche die Ermittelung und Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen erleichtern, die Einführung solcher Gegenstände verhindern und deren Beschlagnahme sichern oder beschleunigen können, auch die Gesetze mitzuteilen, die mit Beziehung auf den Gegenstand des Abkommens erlassen sind oder noch erlassen werden. Diesen Behörden ist das Recht des unmittelbaren Verkehrs eingeräumt und ausserdem, soweit das nach den einzelnen Landesgesetzen zulässig ist, die Pflicht zur Mitteilung von Strafnachrichten über erfolgte Verurteilungen auferlegt.
[180] Das Abkommen hat natürlich nicht den Zweck, Behörden zu schaffen, die authentisch feststellen können, welche Erzeugnisse unzüchtig seien. Das könnte nur durch die Gesetzgebung der einzelnen Länder geschehen. Es ist in der Tat erwägenswert, ob nicht ein richterliches Zentralamt für das Deutsche Reich geschaffen werden könnte, dem in jedem Falle die Entscheidung darüber vorzubehalten wäre, ob eine Veröffentlichung als unzüchtig anzusehen ist. Die Schwierigkeiten, die dem entgegenstehen, sind nicht unerheblich, aber kaum unüberwindlich. Jedenfalls wäre dadurch eine einheitliche Praxis ermöglicht, deren Fehlen sich heute oft recht unangenehm fühlbar macht. Das internationale Abkommen aber wird jedenfalls die Tätigkeit der polizeilichen Behörden sehr wesentlich unterstützen, in dem es sie mit den in Frage kommenden Erzeugnissen und deren gewerbsmässigen Herstellern bekannt macht. Es ist zu erwarten, dass dadurch einer grossen Anzahl von Unternehmern das Handwerk gelegt wird, die fast ausschliesslich pornographische Erzeugnisse auf den Markt bringen und dabei sehr stark auf den Absatz im Auslande rechnen.
Weiter aber wird die Polizei aus ihren allgemeinen Befugnissen auch das Recht ableiten dürfen, die Entfernung einzelner Erzeugnisse aus den Auslagen der Buchhändler usw. zu verlangen, auch wenn deren Verbreitung nicht strafbar ist. Denn auch an sich einwandfreie Veröffentlichungen, die von geschlechtlichen Dingen handeln, können eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellen, wenn z. B. die in ihnen enthaltenen Abbildungen dem grossen Publikum zur Schau gestellt werden. Dasselbe gilt natürlich von Werken der bildenden Kunst, z. B. Sammlungen von Radierungen einzelner Meister. Hier etwa die besonders anstössigen auszulegen, ist eine durchaus verwerfliche und schädliche Spekulation auf die Lüsternheit des Publikums. Dass bei dem Einschreiten der Polizei Missgriffe vorkommen können, ist gewiss, aber gerade hier wird der dadurch verursachte Schaden wenig erheblich sein.
Eine weitere wichtige Aufgabe erwächst der Sittlichkeitspolizei aus dem Vorhandensein der Prostitution d. h. der gewerbsmässigen Hingabe des Körpers zu geschlechtlichem Genusse. Die Stellung des Staates zu diesem allgemein als verächtlich geltenden Treiben ist schwierig. Zweifellos ist die Prostitution ein grosses Übel. Insbesondere ihr enger Zusammenhang mit dem Verbrechen ist so oft eingehend geschildert, dass hier ein einfacher Hinweis auf die Tatsache genügen muss. Aber sie ist ein Übel, das nicht mit den Waffen des Strafrechts und der Polizei überwunden werden kann. Schon deshalb nicht, weil die erfolgreiche Bekämpfung nicht bei der Dirne beginnen müsste, sondern bei dem Manne, ohne dessen Verlangen nach käuflichem Liebesgenuss die Dirne überhaupt nicht vorhanden wäre. Jedenfalls hat sich eine Bestrafung der Prostitution stets als vollkommen unwirksam erwiesen. Sie ist zudem auch eine innerliche Ungerechtigkeit, da die Hingabe gegen Entgelt an sich weder eine Rechtsverletzung noch eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Gefährlich ist nicht der Vorgang an sich, sondern gefährlich sind die ihn begleitenden Nebenerscheinungen. Darum wird sich die staatliche Einwirkung besonders gegen diese zu richten haben. Daraus ergibt sich die auch im deutschen Rechte vertretene Auffassung, dass die Prostitution als ein nicht strafbares aber der Reglementierung bedürftiges Gewerbe erscheint. Das ist die wirkliche Bedeutung des oft angefochtenen § 361 Z. 6 St. G. B. Mit Strafe bedroht wird der nicht konzessionierte Betrieb einerseits und die Nichtbefolgung der für den Betrieb erlassenen Polizeivorschriften andrerseits. Anstoss hat man dabei namentlich an der Konzessionierung genommen, die durch Eintragung in die Dirnenlisten geschieht. Der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch hat darauf in § 305 Z 4 insofern Rücksicht genommen, als er nicht mehr die gewerbsmässige Unzucht als solche unter Strafe stellt, sondern nur die Übertretung der zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung oder des öffentlichen Anstandes erlassenen Vorschriften bestraft. Die Grundsätze für diese Vorschriften soll der Bundesrat bestimmen. Denselben Standpunkt nimmt der „Gegenentwurf“ (Berlin 1911) in § 246 ein, nur verlangt er Regelung der Grundzüge durch ein Reichsgesetz. Die von beiden Entwürfen vorgeschlagene Änderung ist nur insofern erheblich, als sie die Frage der „Einschreibung“ den polizeilichen Vorschriften zur Regelung überlässt. Die auch hier als notwendig anerkannte Reglementierung ist keine Ungerechtigkeit, sondern einfach eine Massregel der Wohlfahrtspflege. Selbstverständlich ist dabei die Prostituierte nicht rechtlos, sondern nur strafbar, soforn sie sich den bestehenden Anordnungen nicht fügt. Die wichtigste dieser Anordnungen ist bisher die Notwendigkeit der Anmeldung bei der Polizei. Sie hat den Zweck, der Polizei die Kontrolle darüber zu erleichtern, dass nicht ordnungswidrige Handlungen begangen [181] werden. Ordnungswidrig aber sind die Handlungen, durch die entweder der geschlechtliche Anstand verletzt oder das öffentliche Wohl gefährdet wird. Die weitaus wichtigste Gefährdung des öffentlichen Wohles ist die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten, die durch regelmässige ärztliche Untersuchungen, wenn nicht verhindert, so doch wesentlich eingeschränkt werden soll. Dieser Schutz der Volksgesundheit ist eben der eigentlich springende Punkt in der Behandlung der Prostitutionsfrage durch die Polizei. Jedenfalls könnten alle anderen Vorschriften für den Betrieb des Prostitutionsgewerbes auch ohne Inskription durchgeführt werden. Sie stellen sich im wesentlichen dar als Massnahmen zur Bewahrung des geschlechtlichen Anstandes und zum Schutze des Publikums gegen Belästigung und Gefährdung durch den Gewerbebetrieb selbst. Es kommen dabei etwa in Betracht die Verbote für Prostituierte in bestimmten Strassen oder Häusern, oder in Familien mit schulpflichtigen Kindern zu wohnen, ferner bestimmte Strassen und Plätze entweder überhaupt oder wenigstens zu bestimmten Tages- oder Nachtstunden aufzusuchen, sich überhaupt auffallend, Anstoss erregend zu benehmen oder zur Unzucht anzureizen, mit Minderjährigen Verbindungen anzuknüpfen, Zuhälter bei sich zu beherbergen. Unter diese Gesichtspunkte fasst z. B. eine preussische Ministerialverfügung vom 11. Dezember 1907 (M. Bl. f. d. i. V. 1908 S. 14) die erforderlichen Vorschriften zusammen, indem sie im übrigen mit Recht vor kleinlichen und zu sehr ins einzelne gehenden Bestimmungen warnt.
Was nun den Gesundheitsschutz anlangt, so ist die Tätigkeit der Polizei weit davon entfernt, mit den üblichen Mitteln der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten wirksam begegnen zu können, denn die amtlich bekannte Prostitution ist nur ein sehr kleiner Teil der wirklich vorhandenen. Darum erklärt sich auch das Bestreben, eine einmal der Gewerbsunzucht überführte Person nicht mehr aus den Augen zu lassen und deshalb die zwangsweise Eintragung in die Listen vorzunehmen. Man kann wohl daran zweifeln, ob diese weit verbreitete Praxis die Befugnisse der Polizei nicht überschreitet. Die erwähnte preussische Ministerialverfügung steht nicht auf diesem Standpunkt, weist aber die Behörden an, eine Zwangseinschreibung jedenfalls nicht vorzunehmen, ehe nicht eine gerichtliche Verurteilung wegen Gewerbsunzucht erfolgt ist. Der herrschenden Übung gegenüber ist das als ein wesentlicher Fortschritt in dem Schutze gegen polizeiliche Willkür zu bezeichnen. Ebenso ist es sehr anerkennenswert, dass in dieser Verfügung mit dem System der ausschliesslichen polizeiärztlichen Untersuchung gebrochen wird. Sie knüpft an § 9 Abs. 2 des preussischen Gesetzes betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 an, der eine Zwangsbehandlung geschlechtskranker Prostituierter erforderlichenfalls zulässt. Die dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen vom 7. Oktober 1905 (M. Bl. f. Mediz. Angelegenheiten S. 389) empfehlen es, die Behandlung der Geschlechtskrankheiten Prostituierter durch Einrichtung öffentlicher ärztlicher Sprechstunden zu erleichtern, die erwähnte Ministerialverfügung weist die Polizeibehörden an, dafür Sorge zu tragen, dass diese Einrichtungen vorhanden sind und von den Prostituierten auch wirklich benutzt werden. Die polizeiärztliche Untersuchung soll demgegenüber nur die Ausnahme bilden. Eine zwangsweise Behandlung in einem Krankenhause soll nur angeordnet werden, wenn die freie ärtzliche Behandlung nicht regelmässig aufgesucht wird oder der Verdacht besteht, dass der Unzuchtbetrieb trotz der bestehenden Krankheit fortgesetzt wird.
Dies zum allgemeinen Vorbilde wohl geeignete System bedarf freilich der wesentlichen Ergänzung. Eine Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ist ohne Massregeln auch gegen geschlechtskranke Männer ziemlich wirkungslos. Allerdings wird es sich dabei um Aufgaben der Gesundheits- und nicht der Sittlichkeitspolizei handeln, die durch entsprechende strafrechtliche Vorschriften zu unterstützen wären. Hier muss genügen, darauf hinzuweisen, dass dazu erforderlich erscheint Bestrafung der wissentlich en Übertragung von Geschlechtskrankheiten, Einreihung der Geschlechtskrankheiten unter die für den Arzt anzeigepflichtigen, möglichst weitgehende kostenlose, darum aber auch nötigenfalls zwangsweise, Heilbehandlung der Erkrankten.
Ein besonders wunder Punkt der Prostitutionspolizei ist die Behandlung der Kuppelei. Dass nach dem deutschen St. G. B. das Halten eines Bordells als Kuppelei strafbar ist, wird nur ganz ausnahmsweise bezweifelt. Trotzdem halten sehr viele Polizeibehörden die Existenz von Bordellen für eine Notwendigkeit. Tatsächlich wohl mit Unrecht. Zwar ist es nicht zu bestreiten, dass die Kasernierung in Bordellen die Überwachung der Bordelldirnen auch in gesundheitlicher Beziehung erleichtert. Aber das fällt praktisch nicht sehr ins Gewicht, da sich tatsächlich doch nur der allerkleinste [182] Teil der Prostituierten in Bordellen unterbringen liesse. Aus demselben Grunde ist auch die oft angeführte „Reinhaltung der Strassen“ kein Grund für Zulassung der Bordelle. Beide Erwägungen haben nur für kleine. Verhältnisse einige Berechtigung und in diesen lässt sich bei einiger Aufmerksamkeit der Polizei auch die freie Prostitution in jeder Beziehung leicht überwachen. Diesen geringen Vorzügen stehen aber sehr erhebliche Übelstände gegenüber. Die Bordelle bieten eine stets bereite Gelegenheit für Ausschweifungen aller Art. Das Verbot, geistige Getränke auszuschänken, ändert daran gar nichts, denn es wird umgangen werden müssen, wenn die Bordelle überhaupt wirtschaftlich existenzfähig sein sollen. Jedenfalls aber ist ihr Vorhandensein für eine erhebliche Anzahl von Personen eine starke Versuchung, der besonders Angetrunkene leicht unterliegen. Weiter aber bedeutet der Bordellbetrieb eine Versklavung der Dirnen, die schon aus allgemein menschlichen Gründen nicht geduldet werden darf. Es ist zudem im Grunde ein Widersinn, den Mädchenhandel zu bekämpfen und die Bordelle, den eigentlichen Nährboden dieses Verbrechens, bestehen lassen zu wollen. Dass schliesslich der dienstliche Verkehr der Polizeibeamten mit den Bordellinhabern zu Bestechungen aller Art führt, ist auch ein gewichtiger Grund gegen die Duldung solcher Betriebe. Es muss deshalb geradezu als eine der wichtigsten Aufgaben der Sittlichkeitspolizei angesehen werden, die Bordelle in allen Erscheinungsformen nachsichtslos zu bekämpfen.
Der „Mädchenhandel“ d. h. die Verschleppung von Frauenspersonen unter Anwendung von hinterlistigen Kunstgriffen, um sie der Unzucht zuzuführen, ist nach dem geltenden Strafrechte als Entführung strafbar und ausserdem in § 48 des Auswanderungsgesetzes vom 9. Juni 1897 als besonderes Delikt behandelt, wenn die Verschleppung ins Ausland geschieht. Dass die Verhinderung eines solchen gemeingefährlichen Treibens ebenfalls zu den Aufgaben der Sittlichkeitspolizei gehört, versteht sich von selbst. Erleichtert wird sie durch das Internationale Abkommen über Verwaltungsmassregeln zur Gewährung wirksamen Schutzes gegen den Mädchenhandel vom 18. Mai 1904 zwischen dem Deutschen Reiche, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Grossbritannien, Italien, den Niederlanden, Portugal, Russland, Schweden, Norwegen, und der Schweiz, zu dem aber der Beitritt aller übrigen Staaten offen gehalten ist. Die vertragschliessenden Staaten haben sich darin verpflichtet, je eine Behörde zu bestellen (für Deutschland das Berliner Polizeipräsidium. Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 15. Juli 1905 R. Z. Bl. S. 185), der es obliegt, alle Nachrichten über Anwerbung von Frauen im Auslande zu sammeln. Ausserdem soll ein Überwachungsdienst eingerichtet werden, um die Mädchenhändler ausfindig zu machen. Die Ankunft verdächtiger Personen soll den beteiligten diplomatischen und polizeilichen Behörden gemeldet werden. Auch sollen Opfer des Mädchenhandels und ihre Verschlepper ermittelt, die Opfer befreit und nach dem Heimatlande zurückbefördert werden. Ergänzt werden diese Abmachungen durch ein neues Übereinkommen vom 4. Mai 1910, zu dem jetzt ein deutsches Ausführungsgesetz ergangen ist, das die Auslieferung wegen der dort bezeichneten strafbaren Handlungen vorsieht. Die wichtigsten Bestimmungen dieses Abkommens sind folgende:
Art. 1. Wer, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, eine minderjährige Frau oder ein minderjähriges Mädchen, selbst mit deren Einwilligung, zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder entführt, soll bestraft werden, auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren Handlung bilden, auf verschiedene Länder entfallen.
Art. 2. Ferner soll bestraft werden, wer, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, eine volljährige Frau oder ein volljähriges Mädchen durch Täuschung oder mittels Gewalt, Drohung, Missbrauch des Ansehens oder auch irgend ein anderes Zwangsmittel zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder entführt, auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren Handlung bilden, auf verschiedene Länder entfallen.
Art. 3. Die vertragschliessenden Teile, deren Gesetzgebung nicht bereits ausreichen sollte, um die in den beiden vorhergehenden Artikeln vorgesehenen strafbaren Handlungen zu bekämpfen, verpflichten sich, diejenigen Massnahmen zu treffen oder ihren gesetzgebenden Körperschaften vorzuschlagen, die erforderlich sind, damit diese strafbaren Handlungen ihrer Schwere entsprechend bestraft worden.
Art. 5. Die in den Artikeln 1, 2 vorgesehenen strafbaren Handlungen sollen vom Tage des Inkrafttretens dieses Übereinkommens an ohne weiteres als in die Aufzählung derjenigen strafbaren Handlungen aufgenommen gelten, deretwegen die Auslieferung nach den unter den vertragschliessenden Teilen bereits bestehenden Vereinbarungen stattfindet.
Soweit die vorstehende Abrede nicht ohne Änderung der bestehenden Gesetzgebung wirksam werden kann, verpflichten sich die vertragschliessenden Teile, die erforderlichen Massnahmen zu treffen oder ihren gesetzgebenden Körperschaften vorzuschlagen.