Sigrid Arnoldson
[787] Sigrid Arnoldson. (Zu dem Bilde S. 773.) In einer Knitik über Adelina Patti schrieb der berühmte Wiener Musikschriftsteller Eduard Hanslick: „Adelina Patti darf die erste unter den lebenden Gesangskünstlerinnen heißen.“ Und er fuhr fort: „Fast will es scheinen, als bleibe sie zugleich die letzte große Sängerin, die in der strengen Schule der Rossinischen Virtuosität und des Bellinischen bel canto aufgewachsen, also ausgerüstet mit den höchsten Errungenschaften italienischer Gesangskunst, sich modernen dramatischen Aufgaben zugewendet hat.“ Die Befürchtung, die er in diesen Worten ausspricht, ist glücklicherweise nicht eingetroffen: denn die „Diva“ hat in der Schwedin Sigrid Arnoldson eine durchaus ebenbürtige Nachfolgerin erhalten. Und dies ist wörtlich zu nehmen; denn im Frühjahr 1888 wurde Sigrid Arnoldson an Stelle der Patti am Coventgarden in London engagiert, wo sie das vollständige Rollengebiet der vergötterten Spanierin übernahm. Sie gleicht auch darin derselben, daß ihre Stimme nicht besonders groß ist, ihre nachhaltigsten Wirkungen vielmehr auf dem bestrickenden Wohllaut des Organs und der vollendeten Ausbildung desselben beruhen. Ihr Spiel ist voll echten dramatischen Feuers und von unwiderstehlichem Zauber. Sigrid Arnoldson ist 1868 als Tochter des berühmtesten Tenors Skandinaviens, Oskar Arnoldson, zu Stockholm geboren. Ihre gesangliche Ausbildung hat sie bei Madame Artôt de Padilla und dem unvergleichlichen leider so früh verstorbenen einzigen Lehrer der Patti, bei Maurice Strakosch, genossen. Ihr erstes Auftreten erfolgte 1886 in Moskau. Ueberall, wo sie sich seitdem hören ließ, flogen ihr die Herzen entgegen, und man ist in den deutschen Musikstädten, wo sie bisher gastierte, ebenso entzückt von ihr wie in St. Petersburg, Amsterdam, im Haag, in Paris, Rom, London, in den Vereinigten Staaten Amerikas und in ihrer Heimat Schweden. Wie schon in den letzten Jahren befindet sich die Künstlerin auch diesen Winter auf einer Gastspielfahrt: im Oktober machte sie auf derselben in Bremen die erste Station auf deutschem Boden. In ihrem Repertoire steht leider die französische und italienische Oper im Vordergrund, es umfaßt u. a. „Mignon“, „Carmen“, „Barbier von Sevilla“, „Dinorah“, „Traviata“, „Rigoletto“, „Fra Diavolo“, „Lucia“, „Romeo und Julia“, „Lakmé“ (von Delibes), „Mireille“ (von Gounod), „Manon“ (von Massenet), doch zählen auch Zerline in Mozarts „Don Juan“ und der Cherubin in „Figaros Hochzeit“ zu ihren erfolgreichsten Rollen. Die jungitalienische Oper, welche mit Mascagnis „Cavalleria rusticana“ zu so allgemeiner Geltung gelangte, hat ihr in der Nedda in Leoncavallos „Pajazzi“ neuerdings eine Aufgabe gestellt, die sie glänzend zu lösen weiß. Unser Bild zeigt sie im Columbinenkostüm dieser Rolle. W. Gareiß.