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Seltsames Phänomen aus dem Leben der Wandervögel

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Textdaten
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Autor: Adolf Ebeling
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Titel: Seltsames Phänomen aus dem Leben der Wandervögel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 703-704
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
s. auch Kleiner Briefkasten in Heft 48.
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Bearbeitungsstand
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[703] Seltsames Phänomen aus dem Leben der Wandervögel. „Bald nach meiner Ankunft in Kairo,“ schreibt uns Adolf Ebeling,[1] „begrüßte ich unter den Vögeln, die ich im Palmengarten unseres Hôtels bemerkte, verschiedene alte Bekannte aus Deutschland. Zuerst natürlich den Spatz, den frechen Proletarier … Socialdemokraten hätte ich beinahe gesagt, weil heutzutage alle Welt dieses böse Wort im Munde führt; er schien mir sogar im Pharaonenlande noch unverschämter zu sein, denn er flog ungenirt auf unsern Frühstückstisch und holte sich Krumen und Brocken von jedem unbewachten Teller. Sonst ist aber nichts Besonderes von ihm zu erzählen. Nach den Spatzen kamen die Schwalben. Diese freundlichen Vögel sind schon poetischer, und es war uns immer wie ein Heimathgruß, wenn wir sie, noch dazu im December und Januar, durch die krystallklare, lichtblaue Luft hin- und herschießen sahen oder sie früh Morgens in den blühenden Nil-Akazien zwitschern hörten. Aber auch sie boten uns keinen Stoff zu besonderen Beobachtungen. Diese wendeten wir dafür den Bachstelzen zu, und zwar zunächst deshalb, weil uns ihre Anwesenheit im Morgenlande sehr überraschte, denn wir wußten damals noch nicht, daß auch die Bachstelzen Meereszugvögel sind, sondern meinten, wie übrigens auch viele von ihnen thun, sie [704] zögen im Winter nur nach dem südlichen Europa und höchstens bis nach Sicilien und den Griechischen Inseln. Daß sie bis nach Afrika und speciell nach Aegypten kommen und von da weiter bis nach Nubien und Abessinien, war uns damals noch unbekannt. Verwunderlich, ja beinahe unglaublich erschien uns dies hauptsächlich wegen des eigenthümlichen Fluges der Bachstelze, die ja bekanntlich immer nur in kurzen Absätzen und in kürzeren oder längeren Bogenlinien durch die Luft schießt und, scheinbar wenigstens, diesen Flug alle Augenblicke unterbricht, um sich wieder zu setzen und weiter zu „wippen“. Aber das Factum war da und ließ sich nicht wegleugnen: überall in den Gärten von Kairo sah man Bachstelzen, auch unter den Palmen der Nilufer und gleichfalls in den großen Alleen, die nach den Pyramiden führen, ja an den Pyramiden selbst, also inmitten der Wüste. Und dort war es auch, wo ich zuerst von dem seltsamen Phänomen hörte, über das ich kurz berichten will.

Wir saßen nämlich eines Abends am Fuße der Cheopspyramide bei einer Schale Mokka, den uns die Beduinen bereitet hatten, und bliesen unter heiterem Geplauder die blauen Rauchwolken unserer Korani-Cigarretten in die Luft – die einzigen Wolken, nebenbei bemerkt, die zu sehen waren, denn der Himmel war, wie fast immer in Aegypten, völlig wolkenlos und von einer so durchsichtigen Helle, wie wenn er aus einer immensen Glaskugel bestände; wir warteten nur auf den Untergang der immer tiefer sinkenden Sonne, um unsere Rückfahrt nach Kairo anzutreten. Das tiefe Schweigen der uns umgebenden Wüste hatte etwas ungemein Feierliches, es wurde nur von Zeit zu Zeit durch den heiseren Geier hoch über uns unterbrochen, und noch höher kreisten die Pelikane, deren Flug, so schwerfällig sie auch in der Nähe aussehen, an Majestät von keinem andern Vogel erreicht wird. Dicht vor uns tänzelten und wippten einige Bachstelzen, die ganz zutraulich waren, hin und her flogen aber immer wieder in unsere Nähe kamen. Ich äußerte bei dieser Gelegenheit, daß ich nicht recht begreifen könne, wie die Vögel im Stande seien, die weite Reise über das Mittelmeer zu machen. Das hörte der Scheich Ibrahim, dem unser Dragoman davon sprach. Der alte Beduine wandte sich in einem Gemisch des Arabischen und Französischen folgendermaßen an mich, und der Dragoman half zu besserem Verständniß aus:

‚Weißt Du denn nicht, hadretak (hoher Herr), daß diese kleinen Vögel von den großen über das Meer getragen werden?‘

Ich lachte, und die Freunde gleichfalls; denn anfangs glaubten wir, falsch verstanden zu haben. Aber nein! Der Alte erzählte ganz unbefangen weiter:

‚Das weiß ja bei uns jedes Kind. Diese assafihr (kleinen Vögel) sind viel zu schwach, um aus eigener Kraft die lange Seereise machen zu können. Das wissen sie auch sehr gut, und deshalb warten sie auf die Störche und Kraniche und andere große Vögel, auf deren Rücken sie sich setzen; sie lassen sich so über das Meer tragen. Die tijuhr (großen Vögel) thun es gern, denn sie haben die kleinen Gäste sehr lieb, die ihnen noch dazu auf der langen Reise durch ihr lustiges Gezwitscher die Zeit vertreiben.‘

Das schien uns unglaublich; wir riefen ein paar braune Beduinenknaben herbei, zeigten ihnen die Bachstelzen und fragten sie:

‚Wißt Ihr, wie die kleinen Vögel hierher gekommen sind?‘

‚Gewiß,‘ antworteten sie, ‚der Abu Saad (der Storch) hat sie über das Meer getragen.‘

‚Da hörst Du, daß ich Dir die Wahrheit berichtet habe,‘ sagte der alte Ibrahim nicht ohne Selbstgefühl und hielt mir zugleich seine braune Hand mit einer leichtverständlichen Bewegung entgegen. Ohne Bakschisch, das heißt ohne Trinkgeld, geht es nun einmal nicht in Aegypten. –

An der Abendtafel im ‚Hôtel du Nil‘ erzählte ich dann Allen die es hören wollten, die seltsame Geschichte, fand aber natürlich nur ungläubige Ohren.

Der Einzige, der weder lachte noch spottete, war der Hofrath Heuglin, der berühmte Afrikareisende und (mit Brehm) wohl der bedeutendste Ornithologe unserer Zeit, wenigstens für die afrikanische Vogelwelt. An ihn wandte ich mich nach Tische und klagte ihm meine Enttäuschung. Der gute Hofrath lächelte in seiner feinen kaustischen Weise und zwinkerte dabei mit den Augen, wie er gewöhnlich zu thun pflegte, wenn man ihn in einer wissenschaftlichen Frage zu Rathe zog. Dann sagte er: ‚Lassen Sie die Andern nur lachen! Sie verstehen ja doch nichts davon. Ich lache ganz und gar nicht darüber, denn auch mir ist die Sache bekannt. Ich hatte sogar längst bei irgend einer Gelegenheit in meinen Schriften etwas darüber gesagt, wenn ich nur einen schlagenden Beweis dafür gehabt und zwar aus eigener Anschauung. Unsereiner muß sich mit solchen Dingen weit mehr in Acht nehmen, als der blos erzählende und unterhaltende Schriftsteller; wir müssen für alles den Beweis haben. Für möglich halte ich übrigens den Fall, aber, wie gesagt, ich kann ihn nicht verbürgen.‘ – So der gute Heuglin, der nun auch schon zu den Todten gehört.

Meine Entdeckung, wenn ich sie so nennen darf, behielt ich übrigens, nachdem Heuglin sich so darüber ausgesprochen hatte, für mich, und würde auch noch heute über dieselbe schweigen, wenn ich nicht kürzlich eine neue Autorität dafür gefunden hätte.

Ich lese nämlich in der zweiten Ausgabe von Petermann’s großem Reisewerke:[2]

‚Professor Roth aus München erzählte mir in Jerusalem, daß der bekannte schwedische Reisende Hedenborg, der sich auf der Insel Rhodus niedergelassen, folgende interessante Beobachtung gemacht habe. Er hörte öfter, wenn die Züge der Störche im Herbst über das Meer nach Rhodus kamen, Gesang von Singvögeln, ohne daß er diese entdecken konnte. Einst ging er den Zügen der Störche nach und sah, als sie sich niederließen, daß von ihren Rücken kleine Vögel aufflogen, welche sich auf diese Weise über das Meer tragen ließen. Die Größe der Entfernung hatte ihn verhindert zu bemerken, welche Gattung von Singvögeln dies gewesen.‘

So schreibt der berühmte Geograph.[WS 1] Hedenborg und Roth sind durchaus glaubwürdige Gewährsmänner. Daß Ersterer die Gattung der kleinen Vögel nicht näher bezeichnen konnte, ist in Bezug auf das Factum an sich nur von untergeordneter Bedeutung und schließt auch jedenfalls die Bachstelzen nicht aus, vorzüglich wenn man damit die Erzählung des alten Ibrahim in Verbindung bringt. Interessant wäre es aber, wenn sich, durch diese Mittheilung angeregt, andere Kenner und Sachverständige darüber aussprechen möchten; wir bekämen vielleicht auf diesem Gebiete noch ganz andere und weit seltsamere Dinge zu hören. Ist doch das Instinctleben der Thiere, trotz aller Beobachtungen und Erfahrungen noch in so vieler Beziehung ein Buch mit sieben Siegeln.“

  1. Aus einem noch ungedruckten „Aegyptischen Tagebuche“.
    Bei dieser Gelegenheit theilen wir unsern Lesern mit, daß von demselben Verfasser, der sich bereits früher durch seine „Bilder aus Paris“ einen so großen und dankbaren Leserkreis, namentlich in der Frauenwelt erworben hat, soeben ein Werk über Aegypten unter dem Titel „Bilder aus Kairo“ erschienen ist. Die „Gartenlaube“ zählt den Verfasser schon seit längeren Jahren zu ihren Mitarbeitern und brachte von ihm auch schon mehrfach interessante Schilderungen aus dem Pharaonenlande und, speciell aus der märchenhaften Khalifenstadt. Die „Bilder aus Kairo“ sind sehr ansprechend und gut geschrieben, ganz in der bekannten Ebeling’schen Manier, voll von kleinen novellistischen und humoristischen Episoden und dabei überaus decent, sodaß wir dieselben aus voller Ueberzeugung als, ein wirklich gutes Buch empfehlen können. D. Red.
  2. Reisen im Orient von H. Petermann. Zweite Ausgabe. I. Bd. S. 41.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist nicht der Geograph August Heinrich Petermann, sondern der Orientalist Julius Heinrich Petermann, vergl. Kleiner Briefkasten (Die Gartenlaube 1878/48)