Höhe seiner Entwickelung stehende Latein sich langsam veränderte. Die christliche Litteratur verdrängte die altrömische und brachte mit ihrem neuen Gedankenkreis auch neue Worte, neue Wendungen, die vorher im Lateinischen fast ganz unbekannt gewesen waren, da sie abstrackte Begriffe auszudrücken hatten. Tertullianus war einer der ersten, der das Beispiel dazu gab.
Dieser Übergang von dem klassischen ins christliche Latein hatte nicht viel Erfreuliches, als nach Tertullian’s Tode seine Schüler, St. Cyprianus, Arnobius und der weichliche Lactanz sein Werk fortsetzten. Es war eine teilweise Auflösung der Sprache; zuweilen traten noch ciceronische Wendungen ohne den eigenartigen Duft des vierten Jahrhunderts und der folgenden auf, — des Duftes, den das Christentum der heidnischen Sprache gegeben hat, des Duftes, wie von edlem Wild, das erliegt, gleich der Civilisation der alten Welt und der beiden Kaiserreiche, die der Gewalt der andringenden barbarischen Völker erlagen.
Nur ein einziger christlicher Dichter, Commodianus von Gaza, repräsentiert das dritte Jahrhundert in der Bibliothek Des Esseintes’. Das Carmen apologeticum aus dem Jahre 259 ist eine Blumenlese von Ermahnungen, die in Acrosticha künstlich zusammengefügt, und in Hexametern ohne jegliche Sorge um die Quantität der Sprache und mit reichlichen Hiaten, ja oft selbst in Reimen geschrieben sind, wie wir unter den Dichtungen der christlichen Kirche später noch so viele finden werden.
Aber diese wilden, ungeglätteten Verse mit den rohen Strassenausdrücken flössten ihm grösseres Interesse ein, als der vermoderte Stil eines Ammianus Marcellinus und Aurelius Victor, eines Symmachus oder Macrobius; er zog Commedianus selbst dem Claudianus, Rutilius und Ausonius vor, die noch regelmässige, klassische Verse schrieben.
Diese Dreizahl stand damals an der Spitze der lateinischen Dichter; sie erfüllten das zusammenstürzende Kaiserreich mit ihren Namen; so der christliche Ausonius mit seinen Hymnen auf Rom, seinen Strafreden gegen die Juden und die Mönche; seiner Beschreibung einer Reise von Rom nach Gallien, worin er sein grosses Talent zu Schilderung und Beschreibung an den Tag legt, und mit freier Beobacbtungsgabe der Natur ein liebevolles Auge schenkt. So schildert er die Spiegelung der Landschaft im Wasser, den Zug der Nebel um die Spitzen der Berge.
Claudianus, ein wiedererstandener Lucanus, beherrscht das ganze vierte Jahrhundert mit dem Metallklang seiner Verse; seine Hexameter sind grossartig, sie ziehen mit stolzem Pompe daher, während das westliche Kaiserreich untergeht und die Barbaren schon vor den Thoren stehen. Claudianus lässt zum letztenmale das klassische Altertum wieder aufleben; er besingt den Raub der Proserpina und wir erstaunen über die glänzenden Farben seiner Zeichnung.
Claudianus ist der letzte grosse Dichter der altklassischen Schule; auf ihn folgen nur geistliche Schriftsteller: der spanische Priester Paulinus, Ausonius’ Schüler; Juvencus, der eine Versparaphrase der Evangelien gibt; St. Burdigalensis, der dem Vergil nachzustreben versucht, und noch eine ganze Reihe von Kirchenvätern und Kirchenheiligen: Hilarius von Poitiers, der Athanasius des Occidents; Ambrosius, der langweilige christliche Cicero; Hieronymus, der Verfasser jener Bibelübersetzung, die zur Grundlage der Vulgata gedient hat, und endlich im fünften Jahrhundert Augustinus, der Bischof von Hippo.
Des Esseintes kannte Augustinus, den Begründer der christlichen
diverse: Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur. Oppeln und Leipzig: , 1889, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZfSL_-_57.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)