sich selbst gleichförmig dergestalt auszuschaffen, daß kein Theil dem andern widerspreche und nur Ein Geist, wie im göttlichen Odem eingehaucht, das ganze schöne Gebilde belebe; diese Poesie schien der damaligen Zeit entweder zu groß, zu mühsam oder auf die Gegenstände, mit denen man sich damals beschäftigte, nicht anwendbar zu seyn. Vielleicht war man der alten, simpeln Vorstellungen satt, und weil man sie nicht zu übertreffen vermochte, wandte man an einzelne Theile, oft außer dem Zusammenhange des Ganzen, desto mehr Kunst. Häufig wollte man auch dem Auge darstellen, was ihm nicht darzustellen war, sinnreiche Gedanken und Gleichnisse, selbst Phrasen und Formeln der Rede, Sprüchwörter, politische Maximen; und wenn diese durch sich selbst nicht verständlich waren, ward der Bilderwitz durch Sprachwitz erläutert. Der Witz ist ein leichtes, flüchtiges Roß; nicht allenthalben kann und mag ihm die Kunst folgen. Er glaubt, nie fein gnug sprechen zu können, zumal wo er nicht rein heraus
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1793, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_V.djvu/97&oldid=- (Version vom 1.8.2018)