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die Gemüther durch eine falsche Wissenschaft, die man für eine wahre hielt oder ausgab.
11.
Müßte aber, weil diese falsche war, jede Voraussicht in die Zukunft unwahr, verwegen, schädlich und deßhalb verbannenswürdig seyn? Gewiß nicht. Die Zukunft ist eine Tochter der Gegenwart, wie diese der Vorzeit. Zwei Sätze liegen vor uns, um den dritten zu folgern. Wer jene beide recht verstehet, recht anschaut, und sodann aus ihnen richtig folgert, hat keinen übeln Gebrauch von seiner Vernunft gemacht, die eben ja die Fähigkeit ist, den Zusammenhang der Dinge einzusehen, und wie Eins im Andern steckt, Eins durchs andre wird, zu schließen oder zu errathen.[1]
- ↑ Die Deutsche Sprache mit allen ihren Schwestern hat ein sehr schickliches Wort, unsern Sinn für die Zukunft zu bezeichnen; Ahnen Anda [236] hieß im Gothischen ein Geist, ein wehender Hauch: (S. Ihre, Wachter, Scherz Glossarien) und es möge nun seyn, daß der Geist der Zukunft auf uns, oder unser Geist auf die Zukunft hinauswirke, in beiden Fällen ist der Ausdruck angemessen und treffend. Wahrscheinlich sagte man zuerst als ein Impersonal mir ahnete! gleichsam eine halbleidende Wirkung zu bezeichnen, wie man sagt: mich verdrießt es, mich schaudert u. f. Aus diesem Ausdruck: meinem Geist, meinem Herzen ahnet Gutes oder Böses entstand die spätere active Formel: mein Geist ahnet die Zukunft. Beide Ausdrücke zeigen etwas Großes, Schweres, Dunkles an, das vor uns liegt, und wir mit einem hellen Blick nicht zu durchdringen, zu umfassen vermögen. Um so mächtiger aber wirkt auf uns diese verworrene, viel-umfassende Erkenntniß. – Dem Ahnen steht ein [237] Wort von ganz anderm Sinn zur Seite Ahnden, d. i. zürnend verweisen, rächen und strafen. Es ist nicht zu läugnen, daß das letzte das erste beinahe verdrängt hat, und daß manche es fast für Ziererei halten, statt Ahndung, Ahnung zu gebrauchen; indessen ist dieses (Ahnung, Ahnen) in den meisten Dialekten Uraltersher und in der gemeinen Sprache das wahre. Warum sollte man nicht also, bei so verschiednem Sinn, auch Worte bestimmt unterscheiden? wie man es gegen ein verwirrendes quid pro quo in mehreren Fällen gethan hat. Auch das für und vor war bei den Alten nicht unterschieden; man hat sich aber, weil es die Logik der Sprache fordert, über ihren Unterschied einverstanden; warum sollte man es nicht auch bei den Wörtern Ahnen (die Zukunft dunkel vorausempfinden) und Ahnden (rächend strafen) thun dörfen?
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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/235&oldid=- (Version vom 1.8.2018)
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/235&oldid=- (Version vom 1.8.2018)