Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1 | |
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zweitenmal im Zeitalter des Bürgertums wird die Funktion seiner Intelligenz die militante. Fand aber von 1789 bis 1848 die Intelligenz einen führenden Platz in der bürgerlichen Offensive, so ist Kennzeichen ihrer gegenwärtigen Situation die defensive Haltung. Je undankbarer diese Haltung in vielen Fällen ist, desto entschiedener ergeht an den Intellektuellen die Forderung klassenmässiger Zuverlässigkeit.
Auf diese letztere stellt nun der Roman eine so vorzügliche Probe dar, dass die verschiedenen Attituden, in denen sich darin der Autor der Gesellschaft anschmiegt, in das Chaos der Produktion etwas wie einen ordnenden Gesichtspunkt bringen. Das heisst natürlich nicht, dass diese Produktion im tendenziösen Sinne mit dem Bürgertum gehen will. Im Gegenteil; für eine breite Schicht ist eine scheinbar spröde Haltung gegen dieses viel näherliegend. Die Position eines humanistischen Anarchismus, den man ein halbes Jahrhundert lang zu halten glaubte — und in gewissen Sinne wirklich hielt —, ist unrettbar verloren. Daher bildete sich die Fata morgana eines neuen Emanzipiertseins, einer Freiheit zwischen den Klassen, will sagen, der des Lumpenproletariats. Der Intellektuelle nimmt die Mimikri der proletarischen Existenz an, ohne darum im mindesten der Arbeiterklasse verbunden zu sein. Damit sucht er den illusorischen Zweck zu erreichen, über den Klassen zu stehen. Während ein Francis Carco der gefühlsselige Schilderer, etwa der Richardson dieser neuen Freiheit wurde, ist ein Mac Orlan ihr ironischer Moralist, sozusagen ihr Sterne.
Es gibt aber entlegenere Verstecke des Konformismus. Und da sich auch der grösste Dichter wahrhaft keineswegs erfassen lässt ohne Bestimmung der Funktionen, die sein Werk in der Gesellschaft hat, da andererseits gerade die Höchstbegabten einen Hang verspüren mögen, dem Bewusstsein dieser Funktion sich zu entziehen, und müssten sie bis in die Hölle flüchten —, so ist hier der Ort, von Julien Green zu reden. Green, unter den jüngeren Romanciers von Frankreich ohne Zweifel einer der bedeutendsten, ist wirklich in die Hölle hinabgestiegen. Seine Werke sind Nachtgemälde der Leidenschaften. In jedem Sinne sprengen sie den Kreis des psychologischen Romans. Die Ahnenreihe dieses Dichters führt auf die grossen katholischen und schliesslich selbst die heidnischen Gestalter und Ausleger der passio zurück : auf Calderon, zuletzt auf Seneca. So tief jedoch der Dichter seine Geschöpfe in der Provinz vergräbt, so unterirdisch auch die Kräfte sind, die sie bewegen —, nicht immer ist es ihm gelungen, gegen unsere Umwelt diese derart abzudichten, dass von ihnen nicht auch ein Wort, das sie betrifft, erwartet werden müsste. Hier setzt nun jenes Schweigen ein, das der Ausdruck des Konformismus ist.
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/67&oldid=- (Version vom 9.8.2022)