Zum Inhalt springen

Seite:Zeitschrift für Sozialforschung - Jahrgang 3 - Heft 1.pdf/63

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1

Der "Geistige", den Benda so, beschwörend, aufruft, um der Krise zu begegnen, enthüllt sieh rasch genug nach seiner wahren Natur, nach der er nichts ist als beschworene Erscheinung eines Abgeschiedenen, des mittelalterlichen Klerikers in seiner Zelle. Nun aber hat es an Versuchen nicht gefehlt, dem Schemen des "Geistigen" Leben einzuflössen. Ihn ins Fleisch zu rufen hat sich niemand inbrünstiger bemiiht als Charles Péguy, welcher an die Krafte des Bodens und des Glaubens appellierte, um dem Intellektuellen seinen Platz in der Nation und der Geschichte anzuweisen, ohne — wie Barrès — auf jene Züge an ihm zu verzichten, die in der Überlieferung der französischen Revolution gelegen sind : die libertären, anarchistischen. Péguy ist zu Anfang des Krieges gefallen. Sein Lebenswerk ist heut jedoch noch durch die Klarheit und durch die Energie belangreich, mit der er die Funktion des Intellektuellen zu definieren suchte. Péguy entspricht, so könnte man versucht sein zu glauben, eigentlich dem Bild, das Benda sich vom clerc trahissant, vom Geistigen als Verräter machte. Doch dieser Anschein hält nicht stand.

„Man kann von Péguy sagen, was man will ; niemals, dass er verraten hat. Warum? Weil eine Haltung Verrat erst wird, wenn sie von Faulheit oder Furcht diktiert wird. Der Verrat der Geistigen liegt in der Dienstbarkeit, mit der sie sich Stimmungen und Vorurteilen unterstellen. Nichts derart bei Péguy. Nationalist ist er gewesen, und stand doch auf Seiten Dreyfus'. Katholik ist er gewesen, aber von der Kommunion war er ausgeschlossen."

Und wenn Berl, anspielend auf den Titel eines Buches von Barrès, einen gewissen Typus des Literaten mit den Worten zeichnet : "Feind der Gesetze — ja, doch Freund der Machthaber", so gilt das für niemanden weniger als fur Péguy. Er stammte aus Orléans.

„Dort war er, so schildern die Tharauds die Herkunft ihres Freundes, in einer Umwelt von alter Zivilisation herangewachsen, deren ursprüngliche Farbe von örtlichen Überlieferungen und einer jahrhundertalten Tradition bestimmt war und keinen, oder beinah keinen Einschlag von Fremdem hatte ; im Schoss einer Bevolkerung, die der Erde nahe und von halb bäuerlicher Artung war... Kurz, es umgab ihn eine alte Welt, eine Welt von ehedem, die sehr viel mehr dem Frankreich des ancien régime benachbart war als dem der Gegenwart."

Péguys grosser Reformversuch bewahrte in allen Zügen den Stempel seines Ursprungs. Noch ehe er für die Verbreitung seiner Ideen als sein eigener Verleger, sein eigener Drucker, die "Cahiers

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/63&oldid=- (Version vom 30.7.2022)