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Seite:Zeitschrift für Sozialforschung - Jahrgang 3 - Heft 1.pdf/60

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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1

Lohn empfangen hat, erwartet er nichts mehr und nichts im Jenseits ; und dennoch hat er sein Gefallen an einem so anspruchslosen Leben und weiss, ohne es schlecht zu machen, das, was es an Gutem bietet, zu geniessen. Die Erde, die diese Wesen hervorgebracht hat, hat ihre Aufgabe nicht verfehlt. Der Weg, der zu dieser Lebensweisheit führt, ist kein schlechter. Darum gibt es noch eine Hoffnung für die Enterbten. Darum muss man niemandem im voraus all das streitig machen, was die Gesellschaft einem Menschen geben kann."

Der Radikalismus als politische Partei hat Barrès beim Wort genommen. Er stellt sich die Probleme so wie dieser, nur dass er sie im entgegengesetzten Sinne beantwortet. Dem Erbrecht der Traditionalisten stellt er das Recht des Kindes, den Privilegien der Geburt und des Vermögens das persönliche Verdienst des einzelnen und die Erfolge in den Staatsprüfungen gegenüber, "Und warum nicht, schliesst Thibaudet, die chinesische Ziviiisation hat sich jahrtausendelang auf Grund der Examinokratie erhalten" Der Vergleich mit China, so befremdend er ist, kann einigen Aufschluss geben. Er zählt seit langem zum eisernen Bestand der Essayisten. Paul Morand hat ihn auch gewagt und von den frappanten . Aehnlichkeiten zwischen dem Chinesen und dem Kleinbürger von Frankreich gesprochen. Bei beiden "fanatische Sparsamkeit, die Kunst, die Dinge immer wieder auszubessern und so ihre Lebensdauer zu verlängern…, Misstrauen, jahrhundertalte Höflichkeit, tief eingewurzelter, aber passiver Fremdenhass, Konservatismus, welcher von sozialen Sturmböen unterbrochen wird, Mangel an Gemeinsinn und Zähigkeit der alten Leute, welche über Krankheiten hinaus sind. Man sollte meinen, alle alten Zivilisationen ähneln sich". Jener gesellschaftliche Untergrund, auf dem die grösste Partei von Frankreich — denn das ist die Radikale — erwachsen ist, ist ganz gewiss nicht mit der Gesamtstruktur des Landes identisch. Wohl aber bilden die Organisationen und die Klubs — die sogenannten cadres —, welche diese Partei im ganzen Lande zur Verfügung hat, die Luft, in der die wesentlichsten Ideologien der Intelligenz sich entfaltet haben und aus der nur die fortgeschrittensten herausgewachsen sind. Das Buch, das André Siegfried vor drei Jahren unter dem Titel "Tableau des Partis en France" hat erschienen lassen, ist ein wertvolles Instrument zum Studium dieser cadres. Alain ist keineswegs ihr Führer, aber der klügste Interpret dieser Gruppen. Er definiert ihre Aktion als eine "beständige Bekämpfung der Grossen durch die Kleinen". Und in der Tat hat man behaupten können, das ganze ökonomische Programm des Radikalismus bestehe darin, eine Aureole um das Wörtchen "klein" zu weben : den kleinen Ackerbauer,

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/60&oldid=- (Version vom 11.7.2022)