Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1 | |
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Der Verfasser habe dann in der Abendausgabe noch einen Nachtrag erscheinen lassen, in dem es geheissen habe :
"Du hast, Welt, zwischen deinem Leben und der Dichtung zu wahlen : wenn man nicht ernstliche Massnahmen gegen diese ergreifen wird, so wird es um die Zivisilation geschehen sein. Zögern ist nicht gestattet. Morgen schon wird das neue Zeitalter beginnen. Es wird keine Poesie mehr geben… Man wird die Dichter ausrotten."
Es ist diesen Worten nicht anzusehen, dass sie vor zwanzig Jahren geschrieben sind. Nicht dass diese beiden Jahrzehnte spurlos an ihnen vorüber gegangen wären. Ihr Werk jedoch hat eben darin bestanden, aus einer Laune, aus einer übermütigen Improvisation die Wahrheit zu entwickeln, die in ihr angelegt war. Die Landschaft, die mit diesen Worten blitzartig erhellt wurde — damals noch eine Ferne — haben wir inzwischen kennen gelernt. Es ist die gesellschaftliche Verfassung des Imperialismus, in der die Position der Intellektuellen immer schwieriger geworden ist. Die Auslese, die unter ihnen von den Herrschenden vorgenommen wird, hat Formen angenommen, die an Unerbittlichkeit dem Vorgang, den Apollinaire beschreibt, kaum etwas nachgeben. Was seitdem an Versuchen unternommen wurde, die Funktion des Intellektuellen in der Gesellschaft zu bestimmen, legt Zeugnis von der Krise ab, in der er lebt. Nicht allzuviele haben die Entschiedenheit, den Scharfblick besessen zu erkennen, dass die Bereinigung, wenn schon nicht seiner wirtschaftlichen, so gewiss seiner moralischen Situation die eingreifendste Veränderung der Gesellschaft zur Voraussetzung hat. Wenn diese Einsicht heute unzweideutig bei André Gide und einigen Jüngeren zum Ausdruck kommt, so kann ihr Wert nur umso grösser erscheinen, je genauer man die schwierigen Verhältnisse sich vergegenwärtigt, denen sie abgewonnen wurde.
Im Blitz der Prophetie Apollinaires entlädt sich eine schwüle Atmosphäre. Es ist die Atmosphäre, die dem Werk Maurice Barrès entstammt, dessen Einfluss auf die Intelligenz der Vorkriegsjahre entscheidend war. Barrès war ein romantischer Nihilist. Die Desorganisation der Intellektuellen, die ihm folgten, musste weit vorgeschritten sein, wenn die Maximen eines Mannes bei ihnen Anerkennung fanden, der erklärt hat : "Was liegt mir an der Richtigkeit der Lehren ; es ist der Enthusiasmus, den ich an ihnen zu schätzen weiss." Barrès war tief davon durchdrungen, und er hat es bekannt, "dass alles auf eins herauskommt, ausgenommen der Elan, der uns und unseresgleichen aus gewissen Ideen strömt, und dass es für die, die sich den richtigen Gesichtspunkt
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/57&oldid=- (Version vom 3.7.2022)