Käthes erhobene und über dem Kopf übereinandergelegte Arme zitterten schon vor Ermüdung, da sie schon beinah eine Stunde lang so dastand. Gleichwohl wagte sie nicht, sich zu melden.
Auch der Hunger setzte ihr zu. Denn der Taubstumme hatte sie nicht bewirtet, da er selber nicht frühstückte.
Wodnieckis Taschen befanden sich offenbar in traurigem Zustand und enthielten schwerlich die zur Ernährung seiner Kunstjünger erforderliche Summe.
Trotzdem arbeitete er mit verdoppeltem Eifer, nachdem er hochbeglückt die in seinem Atelier Nächtigende aufgefunden und sie zum Modellstehen überredet hatte.
Dies gelang ihm leichter, als er erwartete.
Käthe aber verlor vor Hunger und Elend schon fast alle Willenskraft. Nachdem sie sich anfangs noch hartnäckig geweigert, gedachte sie ihres Kindes und ihrer Schwäche und ging endlich auf den Vorschlag ein.
Die Zähne zusammenbeißend, ließ sie nach und nach all ihre Lumpen fallen, obgleich eine Blutwelle ihr bis in den Kopf stieg.
Als sie endlich halb unverhüllt dastand vor dem Bildhauer, hielt sie noch ein Weilchen den Kopf gesenkt und kämpfte mit dem Reste von Schamgefühl, der ihr die Tränen aus den Augen preßte.
Anfangs fürchtete sie sich vor dem lustigen Künstler, in der Meinung, er werde nur Scherz mit ihr treiben und sie so behandeln, wie sie es anscheinend verdiente.
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/386&oldid=- (Version vom 1.8.2018)