Dieser Spottname wuchs Käthe allmählich auf den Leib. Gar manchmal hörte sie ihn beim Vorübergehen vor den offenen Küchentüren, bald genäselt von der gräflichen Köchin, bald gekreischt von der übermütigen Mary.
Nur zu bald fühlte Käthe, welch eine undurchdringliche Scheidewand sie von den anderen Mädchen trenne, die in rosa oder bunten Kleidern Sonntags mit dem „Schatz“ zusammentrafen.
Sie hatte weder solch ein Kleid, noch solch einen Schatz.
Überdies durfte sie auch nicht jeden Sonntag ausgehen, sondern, wie Budowski ausdrücklich ausgemacht, nur drei Stunden in jedem Monat.
Nachdem sie sich also sonntäglich angekleidet, setzte sie sich auf ihre Truhe, um ihre Nägel zu besichtigen oder die Beine übereinanderzuschlagen. Unzweifelhaft war dies eine ganz angenehme Beschäftigung, die jedoch unmöglich die ganzen Nachmittagsstunden auszufüllen vermochte, sodaß diese unsäglich langsam dahinschlichen.
Einst versuchte Käthe ein Liedchen zu singen, welches sie noch in der Fabrik gehört hatte. Der Worte zwar erinnerte sie sich nicht mehr, die Melodie aber hatte sie gut behalten. Anfangs summte sie diese nur vor sich hin und versank dabei in Erinnerungen an vergangene Zeiten. Allmählich aber wurde sie dreister und sang das Liedchen so laut, daß es an den engen Küchenwänden widerhallte.
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/116&oldid=- (Version vom 1.8.2018)