„Barmherziger Gott! Hol schnell den Stöpsel, sonst schmilzt die Lötung!“
Sofort eilte Käthe in die Küche und brachte das Gewünschte herein.
Inzwischen hatte Julia den Brief durchgelesen und ihn neben ihre Tasse gelegt. Mit unerschütterlicher Ruhe trank sie ihren schon kalt gewordenen Tee aus und starrte wieder vor sich hin.
„Du!“ rief ihr Gatte Käthe zu. „Zieh’ dich schnell an und begleite die gnädige Frau!“
Seine Stimme war inzwischen kräftiger und lauter geworden. Obgleich er seiner Frau kein Wort sagte, wußte sie jetzt, daß sie zu ihrer Mutter gehen dürfe.
Ohne sich zu beeilen, erhob sie sich und schritt langsam, als wolle sie sich zu einem Spaziergang ankleiden, nach dem Schlafzimmer.
Zuvor hatte sie jedoch den Brief vom Tische genommen. Im Schlafzimmer verbarg sie ihn hastig in einer kleinen Pillenschachtel und legte diese in die Kommode unter das Weißzeug.
Dann erst zog sie sich an. Wenig besorgt um ihr Äußeres, tat sie das im Dunkeln und war schnell damit fertig. Ohne Handschuhe, in Pantoffeln, unfrisiert, im langen dunklen Radmantel, huschte sie schnell durch das Eßzimmer, ohne ihren Mann zu beachten, der noch immer über seinen Rechnungsbüchern hockte.
„Komm nur bald wieder!“ rief er ihr nach. „Wenn sie schon tot ist, hast du nichts mehr dort
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/079&oldid=- (Version vom 1.8.2018)