Aus diesem großen, dunklen Auge sprach der stille Vorwurf des ohnmächtigen Wesens aus niederem Stande so beredt, daß die Finger des Bildhauers allmählich ihren Arm losließen.
Lange noch sah er ihr nach, als sie durch die offene Pforte auf die Straße hinausgeeilt war, während der Literat mit Rosa unter zweideutigen Scherzen und Klapsen im Innern des Gebäudes verschwand.
Dann blieb er noch ein Weilchen mitten auf dem Hofe stehen und betrachtete aufmerksam jenen Balken, an welchem Käthe bei seinem Eintritte gelehnt hatte.
Ja, sie war das beste und einzige Modell zu der Karyatide, von der er so manchmal geträumt in der Kneipe, wenn er seinen Entwurf mit dem in Bier oder Wein getauchten Finger auf den dichtbestaubten Tisch zeichnete.
All seine Arbeiten entstanden übrigens auf dieselbe Weise und quälten ihn bei den nächtlichen Zechgelagen mit seinen Kumpanen. Dann goß er ein Glas Wein auf den Tisch und schuf dort ideale Frauengestalten mit schon zitternder Hand, aber trotzdem in reinen, durchgeistigten Formen. Mitten im Lärm halbberauschter Literaten und Schauspieler entwarf er so die kunstvollen Umrisse seiner hold lächelnden Büsten, Reliefs und ganzer Statuen.
Ab und zu warf er dabei auch ein Witzwort hin, oder schlug eine weitere nächtliche Wanderung vor, trotz umnebelten Kopfes aber zeichnete er ruhig
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/047&oldid=- (Version vom 1.8.2018)