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Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/479

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

allen Völkern und unter andern Königen stand es nur zur Strafe, nicht nach Gottes eigentlichem Willen. Aber eben das war die Blindheit der Pharisäer, daß sie die Wendung der Zeiten nicht erkannten, nicht einsahen, daß von nun an Israel nicht mehr gesondert sein, sondern Zions Licht und Fülle auf alle Völker sich ergießen, daß alle Völker zu den Hütten Sems eingehen sollten. Und gerade das war das Große in der Antwort JEsu, daß durch sie alle Herrschaft geheiligt, Gottes heiliger Dienst aber von der Herrschaft unabhängig gemacht werden sollte. Im alten Testamente sehen wir ein königliches Priestertum und priesterliches Königreich bei einem Volke; in der Ewigkeit sehen wir alle Völker vereinigt zu einem priesterlichen Königreich und königlichen Priestertum; in der letzten Stunde, die zwischen dem alten Testamente und der Ewigkeit verrinnt, heißt es: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, − und Gott, was Gottes ist“ und die Reiche dieser Welt sind − von dem Reiche Gottes nicht ausgeschloßen, aber unter dem Segen des HErrn auf ihre eigenen Zwecke angewiesen und auf ihre besonderen Wege gestellt. Es spricht heute noch, der nicht leugt noch trüglich mit den Seinen umgeht, wie Er einst zu Pilato gesprochen hat: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ − und was Er in der Nacht, da Er verrathen war, zu Seinen Jüngern gesprochen hat, das gilt noch jetzt: „Die weltlichen Könige herrschen, und die Gewaltigen heißt man gnädige Herren; ihr aber nicht also, sondern der Größte unter euch soll sein, wie der Jüngste, und der Fürnehmste wie ein Diener. − Ich will euch das Reich bescheiden, wie mirs mein Vater beschieden hat.“ (Luc. 22.)


 Meine lieben Brüder! der heutige Text sollte wohl reich genug sein, um ein ganzes Jahr hindurch darüber zu predigen. Wie nöthig wäre es auch, namentlich in unsern Tagen, die Menge von Fragen zu beantworten, welche aus diesem Texte entspringen! Zwei falsche Fragen: „Herrengebot über Gottes Gebot?“ und „Gottes Gebot über Herrengebot?“ und die Aussöhnung der beiden in dem Satze: „Herrengebot, in Gottes Gebot gefaßt; Gottes Gebot, in Herrengebot gefaßt“ − wie nöthig wären sie zu betrachten und zu beherzigen! Dennoch will ich mich beschränken, mich nahe an meinen Text noch einmal hindrängen und einige Sätze euch vortragen, die mir sehr wichtig scheinen.

 Christus, der HErr, hat die Frage der Pharisäer gewis für die ganze Zeit entschieden, welche zwischen Ihm und dem Ende verrinnen würde. Die heutige klare Antwort sollte, mein ich, allen Hader beschloßen haben. Und doch hat sich fast in allen Zeiten der Kirche ein großes Gelüste kund gegeben, die Frage der Pharisäer einseitig zu bescheiden, das weltliche Regiment des Kaisers durch die Kirche und ihre heilige Ordnung, oder umgekehrt das Regiment der Kirche und die Kirche selbst durch das weltliche Regiment und den weltlichen Staat aufzuheben. − Oder wißet ihrs nicht mehr? Erinnert ihr euch nicht mehr an das, was ihr in der Reformationsgeschichte gelernt habt? So will ich euch das Vergeßene ins Gedächtnis zurückrufen. Es ist eine unleugbare Sache, daß die Päpste als Vorstände der Kirche vor der Reformation Anspruch auf das weltliche Schwert des Kaisers und der Könige erhoben, weil sie sich als Statthalter Gottes in seiner Kirche, ja überhaupt auf Erden ansehen, und behaupten zu müßen glaubten, daß die kaiserliche Gewalt ein Ausfluß der päpstlichen sei. Abgesehen von der ungeheuern Anmaßung, Statthalter Christi auf Erden sein zu wollen, verwechselten sie Staat und Kirche und deren beiderseitige Aufgabe. Gottes ist freilich alles, Staat und Kirche, das ist wahr. Aber der Staat gehört nicht der Kirche, so wenig als die Kirche dem Staate. Nach unserm Texte ist Gottes die Kirche und des Kaisers der Staat. Die Kirche läßt sich an ihrem Gotte, der Kaiser an seinem Schwert genügen. Das vergaß, das warf man hinter sich, als man zu Rom den Satz aufstellte, daß alle Reiche der Welt Lehen der Kirche und ihres obersten Bischofs seien. Ach wie viel Streit und Haß und Krieg hat diese Behauptung geboren, und wie viele Ströme Blutes wären nicht gefloßen, wenn man die heilige, unmisverständliche Antwort Christi: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ nie aus Aug und Sinn verloren hätte!

 Aber auch umgekehrt hat es schon zur Zeit, da die Kaiser und Könige der Welt christlich wurden, nicht an mehr oder minder erfolgreichen Bemühungen gefehlt, die Kirche dem weltlichen Regimente und seinen Gewaltigen, dem Staate und seinen Fürsten zu unterwerfen! Und in der Folge der Jahrhunderte ist dieser

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/479&oldid=- (Version vom 31.7.2016)