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Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/33

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Das Zeugnis, welches Johannes in diesem Evangelium von sich selbst gibt, ist ein doppeltes: er sagt unverholen zuerst, was er nicht ist, dann erst, was er ist. Er sagt, was er nicht ist, nemlich nicht Christus, nicht Elias, nicht der von den Juden erwartete Prophet. Ob die Priester und Leviten und der hohe Rath der Juden, von welchem sie gesandt waren, im Ernste daran dachten, dem Täufer Johannes, auch wenn er sich selbst dazu bekannt hätte, die Würde Christi, oder auch nur Eliä oder des andern Propheten, der nach ihrer Einsicht vor der Ankunft des Messias kommen mußte, zuzugestehen: darüber laßen sich mancherlei Vermuthungen aufstellen: aber gewis können wir nichts sagen. Jedenfalls aber lag in der Botschaft und ihrer Frage eine Versuchung für Johannes, von sich selber Großes zu behaupten, − und diese Versuchung hätte um so lockender sein können, als Johannes wenigstens bei der Menge des jüdischen Volkes den geneigten Willen voraussetzen durfte, ihm eine hohe Würde im Reiche Gottes, wol gar die des Messias zuzugestehen. Gewis erwarteten viele aus dem Volke, welches bei der Frage anwesend war, sehnlich eine bejahende Antwort. Wäre Johannes nicht gewesen, der er war, − wäre er gewesen, wie der Betrüger Barcochba, der späterhin auch eine ähnliche Gesandtschaft der Juden zu empfangen, und eine ähnliche Frage zu beantworten hatte, − wäre er ein eitler Mann gewesen, so würde er eine hochmüthige Antwort gegeben, oder es würde ihm wenigstens einigen Kampf gekostet haben, die rechte Antwort zu ertheilen. Aber siehe, da ist auch gar kein Kampf bei dem Täufer zu merken: ohne Zögern, ohne falsches Bedauern, ohne Leid und Neid gibt er die bestimmtesten Antworten, durch welche er auf alles verzichtet, was ihm nicht gebührt. Bei andern Menschen findet man oft, daß sie das, was sie nie gehabt und nie besitzen können, mit größerem Jammer beweinen, als jeden Verlust, welchen sie wirklich erlitten haben. Johannes ist frei vom aufgeblasenen Jammer um Versagtes; einfach und einsylbig, einmal für allemal, mit einer Bestimmtheit, welche jeden Gedanken an eine Wiederholung der Frage, jeden Verdacht einer Falschheit in Johannis Herzen verbietet, spricht er: „Ich bin nicht Christus, ich bin nicht Elias, ich bin nicht der Prophet, auf den ihr wartet.“

 Und so einfach und klar er ihnen sagt, was er nicht ist, so einfach und klar sagt er ihnen auch, was er ist. Damit daß er verneinte, Christus, Elias, der Prophet zu sein, hatte er sich und seine eigentliche Würde noch nicht kenntlich bezeichnet. Wäre er eitel gewesen, so hätte er vielleicht nicht weiter geredet, so hätte er sich mit dunklem Schweigen umgeben, hätte die Leute rathen laßen, hätte lüstern gelauscht, was für eine Würde ihm etwa des Volkes Gunst und Verehrung ausdächte, hätte sich am Schattenwerk hoher Meinungen von seiner Person geweidet und sein Gewißen damit gestillt, daß ja nicht er selbst so etwas von sich gesagt hatte. Aber Johannes war kein solcher: er wußte, was er sein sollte, und das wollte er auch sein, und war es auch, und war damit zufrieden und konnte es allerdings auch sein; denn er hatte eine Würde, welche ihn über die gesammte Vorzeit des alten Bundes stellte und ihn wie eine lichte Pforte einer beßern Zukunft der Menschheit erscheinen ließ. Als ihn deshalb die Abgesandten der Juden, die Priester und Leviten, fragten: „Wer bist du denn? Daß wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst?“ da hatte er die Antwort schon bereit, da antwortete und bekannte er von sich selbst alsbald, ohne Verlegenheit, mit aller Ruhe: „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Richtet den Weg des HErrn − wie der Prophet Jesaias gesagt hat.“ Laßt uns die Bedeutung dieser Antwort erwägen.

 Seine Zeit nennt Johannes eine Wüste, und an und für sich ist das jede Zeit. Wie in einer Wüste kein Säen noch Aernten, kein Keimen, Sproßen, Wachsen, keine Blüte und keine Frucht für Menschen ist, wie in der Wüste niemand wohnt, sondern der Wanderer eilenden Fußes hindurchzieht und nach dem Anblick fruchtbaren Landes verlangt, − wie da kein Bleiben, kein Behagen und Wolgefallen, ja auch kein Weg ist, auf dem man sanft einherziehen könnte, sondern Wildnis und Verlaßenheit sich überall zeigt und findet; so ist auch eine jede Zeit an und für sich selbst eine unfruchtbare, unwirtbare, unbehagliche, unwegsame, verlaßene Wüstenei für das Auge Gottes und seiner Heiligen. Mit demselben Rechte, mit welchem der einzelne Mensch, wie er von Natur zu sein pflegt, mit einem faulen, unfruchtbaren Baum oder Dornstrauch verglichen wird, mit eben demselben Rechte wird jedes Volk, ja die gesammte Menschheit eine unfruchtbare Wildnis genannt, von welcher der HErr niemals

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 022. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/33&oldid=- (Version vom 14.8.2016)