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Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/320

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

der HErr im geistlichen Gerichte auf nichts eine Antwort gegeben hatte, als auf die Frage: „Bist Du Gottes Sohn“; so läßt Er nun im weltlichen Gerichte die Hohenpriester Klag auf Klage vorbringen, ist aber zu keiner Antwort zu bewegen als zu der einen: „Ja, Ich bin der Juden König.“ Pilatus verwundert sich hoch und nimmt, wie St. Johannes (18, 33.) erzählt, den HErrn mit sich ins Richthaus, um Ihn, vom Getümmel der Menge gesondert, zu verhören. Auch hier bleibt der HErr Seiner Aussage treu, daß Er ein König sei, gibt aber dem Landpfleger über die Natur Seines Reiches eine solche Auskunft, daß dieser zu der sichern Ueberzeugung gelangt, von einem Majestätsverbrechen und von Hochverrath sei hier keine Rede. Die Haltung JEsu war auch so, daß der Richter auf die Behauptung der Hohenpriester, JEsus rege das Volk auf, gar nicht eingieng. Er wußte sicher das Gegentheil und würde JEsum nicht in den letzten Tagen mit so gewaltigem Zulauf haben predigen und wirken laßen, wenn er in Seinem Thun etwas Staatsgefährliches hätte entdecken laßen. So führt er Ihn denn heraus und bezeugt vor den Hohenpriestern und dem massenhaft zusammengelaufenen Volke, es sei nichts an ihrer Klage, er finde keine Schuld an Ihm. Allein so leicht waren die Juden diesmal nicht heimzuschicken, nur desto stärker klagen sie, Er habe von Galiläa bis Judäa das Volk aufgewiegelt. Als Pilatus von Galiläa hört, ergreift er Gelegenheit, sich aus der Sache zu ziehen. In Galiläa hatte er nichts zu gebieten, wohl aber Herodes Antipas. Da nun dieser gerade zum Osterfest anwesend war, so schickt Pilatus unsern HErrn zu ihm. Dort aber ist JEsus durch keine Klage noch Rede zu irgend einer Antwort zu bewegen; stumm steht Er vor dem Idumäer, der nicht einmal Seine Obrigkeit war; in der stillen Würde eines wahrhaftigen Königs steht Er vor dem Mörder Johannis, dessen neugieriges Verlangen, Jesum und Wunder JEsu zu schauen, am wenigsten im Ernst dieser Stunden eine Statt finden konnte. Herodes aber, wie er nun von JEsu denken mochte, war auf alle Fälle überzeugt, daß JEsus kein Hochverräther sei: der Vorwurf paßte nun einmal nicht zu unserm HErrn, Seinem Auftreten − und Seiner damaligen Lage. Im Unschuldskleide, wenn auch mit Spott und Hohn, schickt er Ihn wieder zu dem rechtmäßigen Richter Pilatus. Dieser versteht Herodes: er findet keine Schuld an JEsu − so wenig als er selbst. Das sagt er auch den Juden − und um der Blutgier in etwas nachzugeben, will er, der ungerechte Richter, Ihn züchtigen, körperlich züchtigen und los laßen. Der ungerechte und muthlose Richter beginnt hier mit den Juden zu markten ums Leben JEsu, da er doch, wie er Christo gegenüber sich rühmte, Macht hatte, den Unschuldigen los zu laßen. Statt Sein Richter wird er Sein Sachwalter und seine Absicht ist, JEsum auf alle Fälle mit dem Leben davon zu bringen. Was thut er? Er hat einen Menschen, der wirklich des Hochverraths schuldig war, der im Aufruhr überdies einen Mord begangen hatte, den stellt er neben JEsus und fragt, welchen er ihnen zur Festfeier loslaßen soll. Der ungeheure Contrast, − denn auch im Gewißen Pilati war zwischen den zweien ein ungeheurer Contrast, − soll die Juden bewegen, unbekümmert um die Anklagen der Hohenpriester, sich Den frei zu erbitten, den er selbst so gerne frei gegeben hätte. JEsus hatte nicht im Winkel gewirkt, Pilatus kennt die ganze Sache, er weiß, daß die Priester Ihn aus Neid überantwortet hatten; er ist unwillkürlich von Scheu und Ehrfurcht gegen JEsum eingenommen, und sein eigner Eindruck von der Person dieses Gefangenen, dessen Gleichen ihm noch nicht vors Angesicht gekommen war, wird verstärkt durch die warnende Botschaft seiner Gemahlin, die ihm sagen ließ: „Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; ich habe heute Seinetwegen viel erlitten im Traum.“ Was hilft aber alles das? Zum Muth eines gerechten Richters kann dieser Mensch, der wohl wußte, daß ihn die Juden wegen vieler Dinge selbst verklagen konnten, der sich eigentlich in ihrer Gewalt sah, − sich nicht empor schwingen. Die Hohenpriester wühlen und arbeiten im Getümmel da unten, unterhalb des Hochpflasters, − und dieß Volk, das vor wenigen Tagen Ihn fast angebetet hätte, wurde nun dahingebracht, einem Barabbas das Leben zu erbitten und die Freiheit. Pilatus hätte ihnen, nachdem er nun gezwungen war, Barabbam loszugeben, gerne JEsum auch noch freigegeben. „Was soll ich denn mit JEsu thun?“ ruft er − und eine höllische Einstimmigkeit ertönt hierauf: „Er soll gekreuzigt werden.“ Die Kreuzigung war keine jüdische Strafe, sondern eine römische und zwar die schmachvollste und entehrendste, die es gab, die einem freien Mann nicht zuerkannt werden durfte. Die, grade die muß von Pilatus erbeten werden,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/320&oldid=- (Version vom 8.8.2016)