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Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/181

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

im Vergleich mit dem Seinen? Der HErr Selbst nennt uns, wenn wir Alles gethan haben, doch nur unnütze Knechte; dennoch aber ist die Heiligung dem Menschen nöthig, und von allem unserm Thun auf Erden doch nichts nöthiger und wichtiger als unser Fleiß, den Willen Gottes zu thun und Ihm wohlzugefallen, und es bleibt doch der Mensch des Namens eines Jüngers JEsu nicht würdig, welcher irgend eine seiner Angelegenheiten höher anschlägt als diese. Sei die Antwort, welche wir dem Verdienste Christi durch unsern Fleiß in der Heiligung geben, immerhin eine geringe, sie ist ja doch die beste, die wir haben, und unterlaßen werden darf sie nicht, so lieb uns unsere Seligkeit ist. Gewinnen wir die ewige Seligkeit durch unser Thun nicht, so können wir sie durch dasselbe doch verlieren. Insofern haben wir alle Ursache, auf unser Thun zu achten und uns aufmerksam und achtsam, treu und willig zu erzeigen, wenn uns der HErr darüber einen Unterricht ertheilt. Das aber thut Er in unserem Texte, und zwar zu bedeutungsvoller Zeit mit eben so großer Majestät als Demuth, in der eindringlichsten Weise, und so, daß die Beigabe eines symbolischen Sinns für die äußerliche Handlung all die Gründe, die wir haben, um darauf zu achten, nur vermehren und verstärken muß. Als Er den Jüngern die Füße gewaschen hatte, zog Er Seine Kleider wieder an und legte Sich wieder zu Tische. Und das Ablegen der Kleider und das Anlegen sind alle beide geeignet, uns etwas Ungewöhnliches anzudeuten. Der HErr hat gethan, was Er nicht immer thut, Sein Thun ist an und für sich selbst auffallend, und Er hat es überdieß darauf angetragen, es auffallender zu machen, indem Er durch den Wechsel der gewohnten und ungewohnten Kleidung die Seinen zur Aufmerksamkeit reizt. Und wie durch die That, so hebt Er auch durch die Worte Seine Handlung hervor. „Wißet ihr, was Ich euch gethan habe“, sagt Er. Was liegt in den Worten anders, als eine Anregung des Nachdenkens; der HErr will, daß über Seine Handlung gedacht werde, man soll etwas aus ihr lernen. Was wird es sein? − Die Jünger wißen nicht zum Ziel zu kommen, da wird der HErr der Leiter ihrer Gedanken. „Ihr nennet Mich Lehrer und HErr und saget wohl daran, denn Ich bin es“, mit diesen Worten, mit diesem Bekenntnis bringt Er den Jüngern Seine Größe zum Bewußtsein. Er lehrt sie auf die Höhen der Berge sehen, damit die Tiefe der Thale recht erkannt werde. „Wenn nun Ich eure Füße gewaschen habe, der HErr und Meister, so sollt auch ihr einander die Füße waschen.“ Wenn der HErr der Herrlichkeit Sclavendienste thut beim Bewußtsein Seiner Majestät, aus großer Liebe, wie viel mehr sollen die, welche wißen, daß sie einander gleich sind an Niedrigkeit, die eingebildete Höhe und allen Hochmuth verlaßen, und einander in Liebe thun, was ihrem Stande und Berufe mit nichten widerstreitet. „Ein Beispiel hab Ich euch gegeben in der Absicht, daß auch ihr einander thut, wie Ich euch gethan habe.“ Hiemit ist also die Absicht JEsu offenbar geworden. Das hat Er gewollt, gewollt von Seinen hohen Aposteln, also auch von allen andern, das will Er noch, das soll Seiner heiligen Gemeine unter dem liebenswürdigsten aller Gründe eingeprägt sein, unter dem Grunde Seines Beispiels. Er ist ein Diener Seiner Knechte und Mägde, mit Waßer und Blut, mit Fußwaschen und Blutvergießen, Seine Apostel sollen unter einander Diener sein. Alle Seine Heiligen sollen sich unter einander bedienen, verworfen und verdammt sollen sein in Seinem Reiche alle Hochmuthsgründe, die das dienen hindern, alle Liebe, die anders lieben will, als durch selbstverleugnenden Dienst; wie Er die Liebe erweiset, so, grade so sollen die Seinen sie äußern; wer Liebe haben will ohne dienen, der kennt die Liebe nicht; die Liebe dient, und wie die Liebe des Gesetzes Erfüllung ist, so ist auch dienen des Gesetzes Erfüllung, denn es gibt kein Lieben ohne Dienen, Dienen und Lieben ist eins; wer ein Glied sein will am Leibe Christi und nicht dienen will, beweist eben damit, daß er nur in seiner Einbildung ein Glied am Leibe ist, aber nicht in Wahrheit, denn die Glieder am Leibe dienen einander, und dem ganzen Leibe Alle. Ein Jedes hat einen anderen Beruf, ein anderes Werk zum Heil des Ganzen auszuüben, aber alle Werke sind Werke des Dienstes, und so wahr ein Glied Glied ist, und zum Ganzen gehört, ihm eingefügt und gesund ist, so gewis geht es im Dienste des Ganzen. Der nicht dem Ganzen dient, sehe wohl zu, wie er dem schrecklichen Looße entgehen will, vom Leibe abgeschnitten zu sein.

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 Meine theuren Brüder, am Anfang der Leidenswoche

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/181&oldid=- (Version vom 28.8.2016)