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Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/178

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

will Er etwa des Himmels Säulen und der Erde Gründe faßen und Alles zusammenwerfen in seinen Staub und den Seinen einen neuen Himmel und eine neue schönere Erde zur seligen Heimath bauen? Gewis, nicht geringere Dinge hat Er vor, und es wird kommen, daß Er thut, wie ich gefragt; aber jetzt, jetzt thut Er ein Anderes; und nachdem hochgetragnen Anfang der Erzählung St. Johannis schauen wir verwundert eine Handlung, die wir nicht vermuthet haben. So rein das Gegentheil von Majestät und Allmacht des Gottessohnes, so menschlich und gering erscheint sie vor den Augen derer, die ihren Blick vom Anschauen Seiner Liebe trunken und in Betrachtung Seiner Majestät scheu und furchtsam gemacht haben. Er wäscht den Seinen die Füße. Nein, an so etwas zu denken, während der ewige Vater mit Millionen Freuden zur Heimath winkt, während der böse Feind die Zähne fletscht: mitten inne zwischen Himmel und Hölle in der Nachbarschaft der allergrößten, wohlbewußten Noth den armen Jüngern die staubigen, schmutzigen Füße waschen. Hier sinne, wer sinnen kann; da muß ein großes Geheimnis verborgen sein, vermöge dessen sich eine Fußwaschung den letzten Thaten der großen Woche würdig anreihen und würdig die großen Ereignisse der letzten Stunden einleiten soll. Ich will das Geheimnis suchen. Laßt uns mit einander suchen gehen und beten: „Oeffne mir die Augen, daß ich sehe Deine wunderbaren Gedanken in Deinem geringen Füßewaschen.“

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 Die Erzählung, auf die wir nun unser Auge richten, ist wunderbar anschaulich und zeigt in der Genauigkeit, mit welcher sie gegeben ist, beides: die Achtsamkeit der Jünger, und die große Wichtigkeit, welche sie dem Vorgang müßen beigelegt haben. Der HErr sitzt also beim Mahle, Seine Stunde ist vorhanden, in Ihm regt sich Liebe zu den Seinen und das Bewußtsein Seiner Majestät. Ohne Zweifel wird die innerliche Regung auch das äußere Bezeigen des HErrn durchdrungen haben, Liebe und Majestät wird von Ihm gestrahlt haben, und siehe, mit solcher Gebärde erhebt Er sich vom Mahle. Sagt mir nicht: Du gehst darauf aus, zu der geringen Handlung einen mächtigen Gegensatz in der Gebärde JEsu aufzufinden, und denkst dir nun eben einen JEsus wie du Ihn willst. Es kann ja doch nicht anders sein, der HErr war ja doch nicht, wie so viele Gleisner, die mit der äußeren Gebärde das Innere nur verhüllen; innerhalb voll Liebe und Majestät kann der vollkommene Mann, der HErr, auch äußerlich nicht anders, als strahlend von Majestät und Liebe erschienen sein. Ob aber auch wirklich ein Mensch noch zweifeln könnte, so horche er doch auf alle Reden, die der HErr während der Handlung und darnach geführt hat, und er wird allenthalben Majestät und Liebe finden im Verein. „Was Ich jetzt thue, das weißest du nicht, du wirst es aber hernachmals erfahren. − Werde Ich dich nicht waschen, so hast du keinen Theil mit Mir − Ihr heißet Mich Meister und HErr, und ihr thut recht daran, denn Ich bins auch“: welche Reden von unverkennbarer Majestät und leicht zu findender Liebe. Gewis, wo das Innere und die Rede so durchdrungen ist von dem Bewußtsein der Liebe und Majestät, da kann, ich wiederhole, auch die Gebärde nur von Liebe und Majestät geleuchtet haben. Und so also steht Er vom Mahle auf, die Augen der Jünger folgen dem Majestätischen, begierig zu schauen, was nun kommt, und da steht Er nun in Seiner ganzen Größe und beginnt die Kleider abzulegen, ein Stück nach dem andern: es ist, wie wenn da im äußerlichen Vorgang gezeigt werden sollte, was der HErr bei Seiner Menschwerdung wunderbar gethan hat, was der Apostel schreibet in den Worten: „Er hat Sich Seiner Herrlichkeit entäußert“. Das Auge der Jünger haftet an dem Entkleideten, und sieh, da greift Er nach einer Leinwand, einem Schurze und gürtet Sich damit. Offenbar will Er eine Arbeit vornehmen, die Er in den Kleidern nicht wohl vornehmen kann, für die sie sich nicht schicken, von der sie nur verderbt würden, zu welcher sich diese Gestalt, ein Stück von umgürteter Leinwand, ein leinener Schurz viel beßer eignet; es muß eine geringe Arbeit sein, das zeigt der Anzug, denn versinnbildlicht sieht man da jene Worte des Apostels: „Er nahm Knechtsgestalt an“, die Gestalt des Sklaven nahm Er an. Sofort schüttet Er Waßer in das Waschbecken, das da steht und begann die Füße Seiner Schüler zu waschen, und wenn Er sie einem gewaschen hatte, trocknete Er sie auch mit dem Schurze ab, den Er um Sich gegürtet hatte. Wenn Er die Füße wusch, mußte Er Sich zu den Füßen niederbeugen, vor den Jüngern niederknieen, die staubigen Füße ergreifen mit Seinen heiligen Händen, im Waßer sie reinigen vom Staub und Schmutz,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/178&oldid=- (Version vom 28.8.2016)