Zum Inhalt springen

Seite:WienRel.djvu/23

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Irrtum eingehen, der in der letzten Zeit entstanden und geeignet ist, in weiten Kreisen Verwirrungen hervorzurufen.

Es wird behauptet, durch die allgemeine Relativitätstheorie werde gezeigt, daß alle Beweise für das Kopernikanische Weltsystem hinfällig geworden seien und daß ebensogut das Ptolemäische System angenommen werden könne. Ich möchte nun an irgendeinem Mathematiker, Astronomen oder Physiker, sei er nun Anhänger der Relativitätstheorie oder nicht, die Frage richten, ob er im Ernst glaube, daß man jemals wieder annehmen könne, die Erde stehe still und die Sonne bewege sich um sie.

Wir müssen vom erkenntnistheoretischen Standpunkt das logisch mögliche und beweisbare vom wirklichen trennen. Rein logisch können wir die Existenz der Außenwelt überhaupt leugnen, jedenfalls läßt sich diese logisch nicht beweisen. Trotzdem glaubt doch Jeder an sie und zwar noch fester als an irgendeine logische Folgerung. Wenn auch rein logisch das Ptolemäische und Kopernikanische Weltsystem gleichberechtigt sein mögen, so spricht doch eins entscheidend für das letztere: die Einfachheit.

Als Kopernikus sein System aufstellte, konnte man die Beobachtungen, die später als Beweise für die Erddrehung gelten, das Foucaultsche Pendel, die Kreiselwirkungen, noch nicht. Kopernikus zeigte nun, daß die Bahnen der Himmelskörper außerordentlich viel einfacher werden, wenn wir die Erddrehung voraussetzen. Bekanntlich hat schon im griechischen Altertum Aristarch gelehrt, daß die Erde sich um die Sonne bewege. Spengler hat dies in seinem bekannten Buch „Der Untergang des Abendlandes“ so gedeutet, als ob diese Erkenntnis deshalb bei den Griechen nicht habe durchdringen können, weil sie der Weltanschauung der griechischen Kultur nicht entsprochen habe. Nach meiner Auffassung ist sie damals nicht angenommen weil es damals noch nicht möglich war, den ungeheuren Vorteil der neuen Annahme zu übersehen. Erst dreihundert Jahre später stellte Ptolemäos sein Weltsystem auf und es bedurfte erst sehr eingehender astronomischer Arbeiten bis man imstande war, die beiden Systeme wirklich zu vergleichen.

Das erlösende Wort des Kopernikus bestand darin, daß er zeigte, wie sich die verwirrten epizyklischen Bahnen der Planeten im Ptolomäischen System vereinfachen, wenn man die Annahme

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Wien: Die Relativitätstheorie vom Standpunkte der Physik und Erkenntnislehre. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1921, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienRel.djvu/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)