diese mit der nichteuklidischen Geometrie keine direkten Berührungspunkte. Die Eigenschaften der Euklidischen Geometrie werden nicht angetastet. Aber die Raumanschauung wird hier mit dem Zeitbegriff so fest verknüpft, dass man zu der Schlussfolgerung gezwungen wird, der Raumbegriff habe keine selbständige Existenzberechtigung sondern erhielte erst in Verbindung mit dem Zeitbegriff einen klaren Inhalt. Der leider jüngst verstorbene Mathematiker Minkowski bezeichnete von diesem Standpunkte aus die Zeit als vierte Raumdimension, womit er nicht nur den unmittelbaren Zusammenhang beider Begriffe ausdrücken wollte sondern das neue System auch in eine besonders einfache und anschauliche Form gebracht hat.
Die Fragen der Physik, die allmählich so tief bis zu den Wurzeln unserer Erkenntnis vorgedrungen sind, gehen in ihren Ursprüngen sehr weit zurück. Sie begannen mit den Schwierigkeiten, die sich der Undulationstheorie des Lichtes entgegenstellten, als sie die Bradleysche Beobachtung der Aberration der Fixsterne erklären wollte. So einfach diese Erklärung mit der alten Newtonschen Emissionstheorie des Lichtes gelang, so schwierig war sie für die neue sonst in allen optischen Beobachtungen siegreiche Wellentheorie. Fresnel selbst erkannte schon, dass die Aberration des Lichtes erklärt werden könne, wenn man die Annahme mache, dass ein in einem bewegten durchsichtigen Medium laufender Lichtstrahl diese Bewegung nur teilweise mitmache, eine Annahme, die viel später durch ein geniales Experiment von Fizeau ihre Bestätigung fand. Aber gerade diese Fresnelsche Hypothese machte der Theorie, nach der Lichtäther die Eigenschaften eines elastischen Körpers haben sollte, Schwierigkeiten.
Es wurden nun im Laufe der Jahre eine grosse Anzahl von Experimenten gemacht, bei der ein Einfluss der Bewegung der Erde auf optische Phänomene gesucht wurde. Man glaubte gerade aus der Fresnelsche Theorie, nach welcher der Lichtäther jedenfalls die Bewegung der Erde nicht vollständig mitmacht, folgern zu sollen, dass in diesem Falle eine relative Bewegung der Erde zum Lichtäther existiere und sich in Beeinflussung optischer Phänomene äussern müsse. Alle in dieser Richtung angestellten Experimente hatten jedoch ein negatives Ergebnis.
Inzwischen war die Theorie des elastischen Lichtäthers durch die elektromagnetische Lichtheorie abgelöst worden und H. A. Lorentz hatte seine Elektronentheorie auf der Grundlage eines ruhenden Äthers begründet. Er hatte insbesondere die Fragen, inwieweit die Erdbewegung
Wilhelm Wien: Über die Wandlung des Raum- und Zeitbegriffs in der Physik. Sitzungsberichte der physikalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg, Würzburg 1909, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienRaumZeit.djvu/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)