Walther Kabel: Wie die Führer des Boxeraufstandes bestraft wurden. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 13, S. 223–225 | |
|
Wie die Führer des Boxeraufstandes bestraft wurden. – Interessant und für den Charakter der chinesischen hohen Würdenträger überaus bezeichnend ist das Schlußkapitel jenes Boxeraufstandes, der im Jahre 1900 der ganzen kultivierten Welt manche bange Stunde bereitete, die Bestrafung der Leiter dieser gefährlichsten fremdenfeindlichen Bewegung der Neuzeit. Bisher wußte man über das Ende jener Haupträdelsführer der Boxer nur das wenige, was in wirren Gerüchten in den chinesischen Städten von Mund zu Mund ging und so auch, natürlich in groben Entstellungen, zu Ohren der Ausländer und weiter in die Zeitungen der verschiedenen Länder gelangte. Erst jetzt ist durch das auf Grund von Staatsdokumenten und des persönlichen Tagebuchs des Oberhofmarschalls der Kaiserin-Witwe von China geschriebene englische Werk „China unter der Kaiserin-Witwe“ über den Tod der Boxerführer Genaueres bekannt geworden.
Im Februar 1901 hatte der chinesische Hof nach nicht mißzuverstehenden Drohungen der gegen China verbündeten Mächte endlich die Todesurteile gegen die fünf Hauptschuldigen erlassen. Unter diesen befanden sich der Großrat Chao und der kaiserliche Prinz Chuang. Bei diesen beiden hatte die Kaiserin jedoch das Urteil insofern umgeändert, als sie sich selbst entleiben durften.
Der Selbstmord Chaos, der nach dem Dekret der Regentin bis fünf Uhr nachmittags desselben Tages erfolgt sein mußte, wird wie folgt geschildert: Dem Gouverneur Tsen wurde befohlen, Chao im Gefängnis das Urteil vorzulesen.
Nachdem dieser es schweigend bis zu Ende angehört hatte, fragte er: „Wird kein weiteres Dekret folgen?“
„Nein,“ entgegnete Tsen.
„Sicherlich doch noch,“ meinte Chao.
Darauf bemerkte seine Gattin: „Es ist keine Hoffnung mehr, laß uns gemeinsam sterben.“
Sie reichte ihm Gift, von dem er ein wenig nahm; aber bis drei Uhr nachmittags schien es gar keine Wirkung zu haben, denn Chao besprach mit seiner Familie weitläufig die Vorkehrungen für sein Begräbnis. Auch der Eindruck, den sein
Walther Kabel: Wie die Führer des Boxeraufstandes bestraft wurden. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 13, S. 223–225. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wie_die_F%C3%BChrer_des_Boxeraufstandes_bestraft_wurden.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)