Wesen und Wert der beiden Geschlechter und ihre Beziehungen zu einander bilden das Hauptthema des Buches. Eingeleitet wird dieses Thema durch die Verkündigung eines »neuentdeckten Gesetzes« über die Affinität der Geschlechter. Dieses Gesetz, nach welchem jene Individuen einander anziehen, die gegenseitig die ihnen fehlenden Bruchteile an Männlichkeit und Weiblichkeit komplettieren, hat zur Voraussetzung die Tatsache, daß kein Mensch ganz M (Mann) oder ganz W (Weib) ist, sondern stets auch Anlagen vom andern Geschlechte in sich hat. Daß niemand aus einem Gusse ist und es ganz einheitliche Exemplare irgend einer Art – reine Typen »an sich« – kaum irgendwo gibt, ist eine altbekannte Tatsache, und es liegt kein Grund vor, sie mit tiefgründiger Beredsamkeit auseinander zu setzen, als wäre sie eben erst entdeckt; deswegen aber kann man doch nicht – wie Weininger es tut – die Gesamtheit der Menschen als »sexuelle Zwischenstufen « bezeichnen, da die Geschlechtsmerkmale bei jedem normalen Individuum genügend überwiegen, um diese Bezeichnung auszuschließen. In fetten Lettern wird auch die uralte Wahrheit vorgebracht, daß es nicht jedem Individuum gleichgültig sei, mit welchem Individuum des anderen Geschlechtes es eine sexuelle Vereinigung eingeht, daß nicht jeder Mann für einen anderen Mann, nicht jedes Weib für ein anderes
Grete Meisel-Heß: Weiberhaß und Weiberverachtung. Die Wage, Wien 1904, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Weiberhass_und_Weiberverachtung.djvu/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)