Einmal erblickte Emma sie zufällig im Garten, einen statuenbesetzten, von Olivenbäumen umschatteten Weg einherschreitend, zwischen zwei Nonnen. Sie hatte die Haare kurz abgeschnitten, ihre Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden.
Das Ärgste waren die Nächte. Unten das tosende Meer und im Schloß das Toben und Schreien und das geheimnisvolle Pochen und Zittern, das das Unheimlichste war von allem.
Und wenn Emma sich gar zu sehr fürchtete, so setzte sich die Wärterin, eine schöne, alte italienische Bauersfrau mit großen goldenen Ringen in den Ohren, an ihr Bett und fing an, bald lustige, bald wehmütige Stornelli zu singen, so laut sie mit ihrer alten Stimme konnte, damit Emma die bösen Geräusche nicht hören möge, die sie ängstigten.
Der trockene, durstige Sommer ging vorüber, der Herbst kam. Die Nächte wurden lang. Immer schrecklicher wurden sie. Und einmal saß die alte „Nana“ bis in die Morgenstunden neben Emmas Bett und sang, bis sie heiser wurde, und als sie heiser war, sang sie noch. Und wenn sie abbrach, um Atem zu holen, da hörte Emma erschreckte Ausrufe und flüsterndes Reden und ein unruhiges Hin- und Herhuschen draußen im Gang.
Ossip Schubin: Vollmondzauber. Stuttgart: J. Engelhorn, 1899, Band 2, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vollmondzauber.djvu/190&oldid=- (Version vom 1.8.2018)