wurde, sich gewiß nicht über schlechte Reproduktion beklagen kann. Er selbst läßt die vorher gemachten Zeichnungen nicht als seine Kinder gelten. Er mußte ja bis 1876 so wie Schwind und die anderen alle direkt auf die Holzplatte zeichnen; die Zeichnung wurde dann vom Holzschneider ausgeschnitten. Aber dabei hat das Messer oft das Beste weggenommen und den Strich verdorben. Seitdem jedoch das Original als selbständige Arbeit angefertigt wurde und der Schneider eine photographische Reproduktion davon auf dem Holzblock erhält, hat sich die Reproduktion in ihrer Originaltreue unendlich verbessert. Das ist der Grund, warum man den echten Oberländer erst vom Jahre 1876 kennen lernen kann.
Oberländer hat anfänglich nicht Zeichner im üblichen Sinn des Wortes werden wollen. Er wollte sich der Malerei widmen und hat auch nicht wenig gemalt. Aber erst seit acht Jahren fand er wieder die Muße, sich mit Lust und Freiheit der Malerei zu widmen. Die Technik, die er gewählt hat, ist die Guasch, der er in höchst subtiler Art eine Fülle von Nuancen entlockt, und die er bis zu einem gewissen Grad mit der Ölmalerei konkurrieren läßt. Hier darf er machen, was er will, und braucht nicht Witze zu illustrieren, was für ihn in seiner gutmütigen Münchener Ausdrucksweise schließlich bloß „dummes Zeug“ ist. Nun kommt die ganze Ruhe seiner Kunst, ihr poetischer, stimmungsvoller Zug zum Ausdruck, allerdings in einer Weise, die nicht in gleichem Maße wie seine Illustrationen die volle Selbständigkeit gegenüber der älteren Schule zeigt. Hier kann er in großen Gestalten jene unendlich fein geführten Linien ziehen, die kein anderer so gut macht wie er, hier auch zeigt sich ganz deutlich, daß das, was er macht, unabhängig von dem fremden Wort ist, das ein anderer gefunden hat und das unter seinen Zeichnungen beinahe störend steht. Das Beste mögen hier auch wieder die Bilder sein, wo er Tierstudien verwerten und wo er vor allem seine geliebten Löwen vorführen kann. Ein Glanzstück ist der verlorene Sohn unter den Schweinen, von denen jedes einzelne ein Porträt ist. Der liebenswürdige Humor der Charakterschilderung und Entwickelung der Situation zeigt sich aber vor allem in der gelehrten Prinzessin.
So ist es dem rüstigen Mann, seitdem er wieder malen darf, beschieden, alle seine künstlerischen Wünsche voll zu befriedigen, ein Los, das nur wenigen zuteil wird.
Karl Voll: Adolf Oberländer. Westermann, Braunschweig 1905, Seite 817. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Voll_Adolf_Oberl%C3%A4nder.djvu/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)