Zum Inhalt springen

Seite:UhlandGedichte1815 0222.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Wehe! könnt’ ich mich verjüngen!

50
Lernen wollt’ ich Saitenkunst,

Minnelieder wollt’ ich singen,
Werbend um der Süßen Gunst.
In des Maies holden Tagen,
In der Aue Blumenglanz,

55
Wollt’ ich freudig fechten, jagen,

Um den werthen Rosenkranz.

Weh! zu früh bin ich geboren!
Erst beginnt die goldne Zeit.
Zorn und Neid hat sich verloren,

60
Frühling ewig sich erneut.

Sie, in ihrer Rosenlaube,
Wird des Reiches Herrin seyn.
Ich muß hin zu Nacht und Staube,
Auf mich fällt der Leichenstein!“

65
Als der Alte dies gesprochen,

Er die bleichen Lippen schloß.
Seine Augen sind gebrochen,
Sinken will er von dem Roß.
Doch die edeln Knappen eilen,

70
Legen ihn in’s Grüne hin;

Ach! kein Balsam kann ihn heilen,
Keine Stimme wecket ihn.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0222.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)