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Seite:Ueber die Liebe 182.jpg

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Er begann nachdenklich zu werden, und Amor suchte sogleich Fehde mit ihm. Die Gedanken, die Amor den Seinen sendet, trafen ihn bis in das tiefste Herz, und von da an wurde er ein Diener der Minne und fing an, kleine, gefällige, frohe Lieder, Tanzweisen und Gesänge zu dichten, wodurch er sehr gefiel und am meisten der, für die er sang. Amor aber, der seine Vasallen belohnt, wenn es ihm gefällt, wollte Wilhelm den gebührenden Lohn erteilen. Und alsbald begann er der Dame so viele Gedanken und Einfälle über die Liebe zu geben, daß sie nicht Tag noch Nacht Ruhe fand in Gedanken an die Männlichkeit und den kühnen Sinn, der Wilhelm so reichlich erfüllte und ihm innewohnte.

Eines Tages geschah es, daß die Dame Wilhelm nahm und ihm sagte: „Wilhelm, sage mir nun, weißt du zu dieser Stunde, was von dem Anschein an mir Wahrheit oder Trug ist?“ – Wilhelm antwortet: „Madonna, so wahr mir Gott helfe, von dem Augenblick an, da ich Euer Diener ward, konnte mir kein andrer Gedanke in das Herz dringen, als daß Ihr die Beste seid, die je geboren ward, und die Wahrste in Wort und Wesen. Das glaube ich und werde ich mein Leben lang glauben!“

Und die Dame antwortete: „Wilhelm, ich sage dir, so Gott mir hilft, wirst du von nur nicht getäuscht werden und deine Gedanken sollen nicht vergeblich und verloren sein.“ Und sie breitete ihre Arme aus und umarmte ihn zärtlich in dem Gemache, darin sie beide saßen, und sie gaben sich der Minne hin. Es dauerte jedoch nicht lange, daß die bösen Zungen, die Gottes Zorn treffen möge, danach trachteten, von ihrer Liebe

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_182.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)