nun wurden alte, liebe, oft erzählte Geschichten hervorgeholt und nicht zum letztn Male wieder erzählt. Sie kannten sich Alle; die Alten hatten die Jungen aufwachsen, die Aeltesten die Alten grau werden sehen; von Allen wurden die anmuthigsten und spaßhaftesten Kindergeschichten erzählt; wo kein Anderer sie wußte, da erzählte die Großmutter. Von ihr allein konnte Niemand erzählen; ihre Kinderjahre lagen hinter der Geburt aller Andern; die außer ihr selbst etwas davon wissen konnten, hätten weit über jedes Menschenalter hinaus sein müssen. - Unter solchen Gesprächen war es abendlich geworden. Der Saal lag gegen Westen, ein rother Schimmer fiel durch die Fenster noch auf die Gypsrosen an den weißen, mit Stuckaturarbeit gezierten Wänden; dann verschwand auch der. Aus der Ferne konnte man ein dumpfes eintöniges Rauschen in der jetzt eingetretenen Stille vernehmen. Einige der Gäste horchten auf.
Das ist das Meer, sagte die junge Frau.
Ja, sagte die Großmutter, ich habe es oft gehört; es ist schon lange so gewesen.
Dann sprach wieder Niemand; draußen vor den Fenstern in dem schmalen Steinhof stand eine große Linde, und man hörte, wie die Sperlinge unter den Blättern zur Ruhe gingen. Der Hauswirth hatte die Hand seiner Frau gefaßt, die still an seiner Seite saß,
Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)