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Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/93

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Eine der schönsten Huldigungen für die Ukraine hat Schewtschenko in dem Gedicht „Die Muse[1] niedergelegt, das er 1858 in Niznij Nowgorod verfaßte:

„O Muse du, im Glorienscheine,
Du Schwester des Apoll, du Reine,
nahmst mich in Windeln in den Schoß
und trugst ins Feld mich, frei und groß.
Und dort auf einem Grabeshügel
gleich Freiheit, köstlich – ohne Zügel –
hast mich umhüllt mit Nebelflor
     und gabest singend mir den Segen.
     Fern in menschenleerer Steppe
 dort im Sklaventume
     prangtest du noch selbst in Ketten,
 eine stolze Blume.
     Aus dem schmutz’gen Kerker flogest
 du auf Vogelschwingen
     rein und heilig und du schwebtest
 über mir mit Singen.
     Und du sangest, Goldbeschwingte,
 sangst mit süßer Kehle,
     wie wenn Wunderwasser dringen
 in die kranke Seele.
 – – – – – – – – –
Und wenn ich sterbe, meine Hehre,
o, meine Mutter, hör’ den Schwur:
Leg’ deinen Sohn ins Grab und weihe
aus deines ew’gen Auges Bläue
mir eine einz’ge Träne nur!“

Als die Verkörperung des ukrainischen Hügel- und Steppenlandes erstrahlte vor den Augen Schewtschenkos immer wieder der Dnipró. Dieser große Fluß, Borysthenes in der Antike, spielt in der Ukraine die gleiche Rolle wie Vater Rhein in der deutschen, matuschka Wolga in der russischen und Dunaj (die Donau) in der slawischen Literatur überhaupt. Wurde doch der Dnipró auch von Gogol warm besungen,[2] dessen Phantasie in Augenblicken seines besten


  1. Übersetzt von Julia Virginia.
  2. Im XII. Kapitel der phantastischen Erzählung „Die schreckliche Rache“.