hatte, nach Moskau, Petersburg oder nach Kiew sich zu begeben. In einem Brief an seinen Freund, den berühmten Schauspieler Schtschepkin, verglich er sein Los mit dem eines Hundes an der Kette. An die Gräfin Anastasia Iwanowna Tolstoj schrieb er scherzend aus Nizhnij Nowgorod: „Es tut mir not, zwischen den kirgisischen Steppen und dem nördlichen Palmyra (Petersburg) zu rasten, damit ich nicht heimkehre als echter Kirgise.“
Vom 12. Juni 1856 bis zum 20. Mai 1857 schrieb er in russischer Sprache sein Tagebuch, das manche interessante Einzelheiten aus der Festungszeit enthält. Es beginnt mit folgenden Betrachtungen: „Gedenke ich des verflossenen so traurigen Jahrzehntes, dann dünkt es mich, als könnte ich mich herzlich freun, daß mir nicht damals schon der glückliche Gedanke kam, ein Heft für solche Aufzeichnungen anzulegen. Denn was hätte ich da wohl eingetragen? Ich genoß zwar im Laufe jenes Jahrzehntes unentgeltlich einen Anblick, der nicht jedem vergönnt ist, doch mit was für Augen sah ich das alles? Wie ein Häftling, der durch das Fenstergitter des Kerkers einen fröhlichen Hochzeitszug betrachtet. Die bloße Erinnerung daran, was an mir vorbeiging und was ich mit eigenen Augen sah, jagt mir schon heillosen Schrecken ein. Wozu jenen finstern Schauplatz aufzeichnen und die gemeinen Personen, in deren Gesellschaft ich ein düsteres, einförmiges Drama von zehn Jahren erleben mußte?“
Vom damaligen Militarismus in der Kaserne heißt es: „In unserm orthodoxen Kaiserreich sind die Soldaten die ärmste und unglücklichste Volksschicht. Ihnen ist alles genommen, was das menschliche Leben verschönert, Heimat, Familie, Freiheit. – Wenn der Soldat mitunter ,die Kehle befeuchtet' und seine düstre Seele erheitern will, mög es ihm verziehn sein. Den Offizieren aber werden alle menschlichen Rechte und Privilegien eingeräumt. Und sie unterscheiden sich vom gemeinen Soldaten doch nur durch die Uniform (ich rede hier von der Nowo-Petrowschen Garnison). Als Kind schon, soweit ich in meinem Gedächtnis zurückdenken kann, hatte ich für Soldaten nicht das Interesse,
Alfred Anton Jensen: Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Adolf Holzhausen, Wien 1916, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taras_Schewtschenko._Ein_ukrainisches_Dichterleben._Von_Alfred_Jensen_(1916).djvu/59&oldid=- (Version vom 30.7.2020)