Zum Inhalt springen

Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/153

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Moskowitertum) konnte er nie Kompromisse schließen, wenngleich er machtlos war und, wie Krasinski im „Irydion“, hätte er sagen können: „Die Macht ist da geboren, wo eine Laute nie klang, wo – anstatt Lorbeerkränzen – harte Kupferbänder um die Stirn gespannt wurden und wo es in der Brust der Männer weder Poesie noch Ungebundenheit gab, sondern nur einen einzigen Willen.“ Schon in Nizhnij Nowgorod verfaßte Schewtschenko ein Spottgedicht „Der Verrückte“ (Jurodywyj), das vielleicht das Bruchstück der geplanten allegorischen Satire „Satrap und Derwisch“ ausmachte. Hier stellt er an den Pranger die Handlanger des „Feldwebel-Zaren“, den Korporal Gawrilowitsch-Besrukij[1] und den besoffenen Gefreiten Dolgorukij.[2] „Nicht euch, nicht euch in zierlichen Uniformen, Denunzianten und Pharisäern, geziemt es, für die heilige Gerechtigkeit und für die Freiheit einzustehn. Ihr lehrtet die Brüder das Martern, nicht die Liebe! Wann werden wir einen Washington mit neuen gerechten Gesetzen erwarten können? … O, meine helle Morgenröte![3] Du führtest mich aus dem Kerker, aus der Gefangenschaft wiederum zum Kehrichthaufen des Nikolaus (= die russische Hauptstadt)! Du leuchtest und glänzest darüber wie eine unsichtbare heilige Flamme, aber aus dem Miste treten vor meine Augen seine Schandtaten hervor gleich einer Säule. Gottloser Zar, Schöpfer des Bösen, herzloser Bedrücker der Gerechtigkeit, was hast du auf Erden angerichtet?“ …

Einmal im Leben wurde der feste Glaube des Mickiewicz an die göttliche Vorsehung tief erschüttert, und zwar im Klostergefängnis zu Wilno, wo er, der Leiden des polnischen Volkes gedenkend, seine eigenen erbärmlichen Herzensqualen vergißt und in der erhabenen „Improvisation“ den Weltschöpfer selbst im Namen von Millionen Seelen zum


  1. Der einarmige D. G. Bibikoff, Generalgouverneur in Kiew, 1835–1856.
  2. Der Fürst Dimitrij D. Dolgorukij, Gendarmeriechef in Kiew zur selben Zeit.
  3. d. h. die Befreiung aus der Verbannung und die Rückkehr nach Rußland.