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Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/102

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An der Schwelle steht die alte Weide mit nach allen Seiten herabhängenden Zweigen und mit verdorrtem Gipfel; hintenan eine Dreschtenne mit Schobern von Gerste, Weizen und andern Getreidearten; noch weiter, am Abhang des Bugs, tritt der Garten hervor. Und was für ein Garten! Ich habe in meinem Leben gar wohlgepflegte Gärten gesehn, wie jene im Umanj[1] und Peterhof, aber was bedeuten sie im Vergleich zu unsern prächtigen Gärten: dicht, dunkel, still – kurzum solche Gärten gibt es nicht wieder in der ganzen Welt. Hinter dem Garten die Wiese, dann ein Tal und schließlich ein stiller, kaum hörbar rieselnder Bach, von Weiden und Schneeballen umgeben, von breitblättrigen, dunkelgrünen Kletten eingehüllt. In diesem Bach unter den hängenden Kletten badet sich ein vierschrötiger weißhaariger Knabe; er läuft dann über Tal und Wiese in den dicht belaubten Garten, wirft sich auf die Erde unter den ersten Birn- oder Apfelbaum und sinkt in einen ungetrübten Schlaf. Wie er erwacht, schaut er auf den gerade gegenüber sich erhebenden Berg und fragt sich selber: „Was kann da hinter dem Berge sein? Am Ende sind es gar die eisernen Pfähle, die den Himmel aufrecht halten …“

Hier haben wir das Elternhaus Schewtschenkos in Kyryliwka vor uns und die reizende Episode aus seinen Kinderjahren ist nicht vergessen.

Wenn Schewtschenko aber an die Bewohner dieser „bezaubernden“ Dörfer denkt, büßt das Bild viel von seinem idyllischen Reiz ein, denn er weiß, daß Not und Elend in diesen Hütten wohnen. Seine altruistische Natur konnte sich keiner ungeteilten Freude hingeben, weil er seine Mitmenschen leiden wußte; die reine Dorfidylle hat so wenig Raum gefunden in seiner Dichtung. Hie und da bricht doch die ungetrübte Lebensfreude durch, wenn auch nur vereinzelt in der Dorfschilderung. Als Schewtschenko 1847 in der Peter-Pawel-Festung saß, vergegenwärtigte er sich einen Abend in der Ukraine und schrieb also:


  1. Der berühmte Schloßpark „Zofiówka“, der Familie Potocki gehörig, im Kiewschen Gouvernement, des öftern gepriesen von polnischen Dichtern.