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Seite:Stijl vol 03 nr 06 p 049-056.djvu/3

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KUNDGEBUNG II DES „STIJL” 1920

DIE WORTKUNST

der Gliederbau der zeitgenössischen Wortkunst lebt noch von der süszen Empfindelei eines gewesenen entkräfteten Zeitgeschlechts

DAS WORT IST TOT

die Abklatschübungen nach der Natur und das Flimmerspiel dramatischer Ausdrücke
               welche die Büchermacher uns vorsetzen
               meter- und Kiloweise
enthalten nichts von den neuen Künheitsaufschwüngen unseres Lebens

DAS WORT IST MACHTLOS

die kurzatmige und gefühlselige Poesie
das „ich” und das „sie”
               das man immer und allerwärts
               vorzugsweise aber in Holland
               anwendet unter dem Einflusze eines Raum-ängstlichen Individualismus
                    in Gärung Uebergegangenes überbleibsel einer greisenhaften Zeit
erfüllt uns mit Ekel

die Seelenkunde in unserer Romanschriftstellerei
               lediglich beruhend auf persönlicher Einbildungsgabe
das seelische Zergliederungsverfahren
und die versperrende Schönrednerei
haben auch die WAHRE BEDEUTUNG DES WORTS ZERSTÖRT

die sorgfältig einer neben dem andern und einer unter dem andern aufgereihten Sätze
die trockenen STETS EINER VORDERSEITE ZUGEKEHRTEN Redensarten
               womit die bisherigen Wirklichkeitsschriftsteller
               die zu sich selber beschränkten Erfahrungen zur Schau boten
sind völlig machtlos
und vermögen die Gemeinschaftserfahrungen unserer Zeit nicht wiederzugeben

ebenso wie die alte Lebensauffaszung sind die Bücher auf die
LÄNGE die ZEITDAUER aufgebaut
sie haben
STOFFLICHES AUSMASZ

die neue Auffaszung des Lebens wurzelt in der
TIEFE und SPANNUNGSGEWALT
derart wollen wir auch die Dichtkunst

Empfohlene Zitierweise:
Theo van Doesburg: Manifest II von De Stijl. In: De Stijl, 3. Jahrgang, Nr. 6, April 1920, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stijl_vol_03_nr_06_p_049-056.djvu/3&oldid=- (Version vom 20.12.2023)