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Seite:Spiegel Maerchen aus Bayern.djvu/29

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II. Legendäre Märchen.
18. Warum die Menschen nicht mehr wissen, wann sie sterben.
(Oberbayern: Aus der Gegend, die man Hollertau nennt, das ist die Landschaft zwischen der Ammer, Ilm und Abens, bei Gammelsdorf und Moosburg.)

Früher wußten die Menschen, wann sie sterben müssen und arbeiteten darum nur wenig und schlecht. Einmal machte ein Mann einen Zaun aus Binsen. Da ging gerade der liebe Gott vorüber und sah diese Arbeit. Er fragte den Mann: „Warum machst du einen so schlechten Zaun?“ Der Mann antwortete: „Der hält, bis ich sterbe; denn morgen muß ich sterben.“ Darauf sagte der liebe Gott: „So soll es von nun an niemand mehr wissen.“


Aufgeschrieben durch Frau Anna Bauer, Kassierswitwe in Amberg, 17. 4. 1901. (Urschrift.)


19. Jesus und Petrus dreschen.
(Oberpfalz: Amberg.)

Der liebe Jesus ging einmal mit Petrus überland. Und weil es Nacht wurde, so klopften sie bei einem Bauern an und baten um Nachtquartier. Der Bauer sagte: „Ihr könnt schon da bleiben, aber ich hab’ nur mehr ein Bett, müßt zusammenliegen und in der Früh’ müßt ihr mit dreschen helfen.“ Jesus versprach das. Sie legten sich zu Bett, Jesus vornen, Petrus hinten. In der Früh’ kam der Bauer zum Wecken. Petrus wollte aufstehen, aber Jesus sagte: „Es hat noch Zeit, lege dich aber jetzt gleich vornen hin.“ Da kam der Bauer wieder zum Wecken und im Zorn prügelte er den ersten, weil er nicht aufstand. Jesus sagte wieder: „Es hat noch Zeit, lege dich aber jetzt hinter, Petrus, sonst bekommst du wieder Prügel, wenn der Bauer kommt.“ Der kam auch bald wieder und weckte. „Warte“, sagte er, „dasmal kommt der hintere dran“ und so bekam Petrus nocheinmal Prügel. Da sagte Jesus: „Jetzt ist es Zeit, unsere Arbeit zu tun“ und gab dem Petrus ein Licht in die Hand, hielt selbst die Garben an das Licht und das Korn prasselte nur so heraus. Als sie einige Zeit so gearbeitet hatten, wanderten sie weiter. Nach einer Weile sagte Jesus: „Petrus, sieh dich um!“ Und Petrus erschrak und sagte: „Herr, Herr, da steht ja das Haus in Flammen, das wir verließen!“ „Ja“, sprach Jesus, „der Bauer wollte es mir nachmachen und siehe, das ist sein Lohn.“


Aufgeschrieben durch Frau Anna Bauer, Kassierswitwe in Amberg, 17. 4. 1901. (Urschrift.)

Empfohlene Zitierweise:
Karl Spiegel: Märchen aus Bayern. Selbstverlag des Vereins für bayrische Volkskunde und Mundartforschung, Würzburg 1914, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spiegel_Maerchen_aus_Bayern.djvu/29&oldid=- (Version vom 1.8.2018)