Zum Inhalt springen

Seite:RuthenischeRevue1904SelectedPages.pdf/370

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Tief über den Rand des Glases hing sie.

Und grosse fast glänzende Blätter schwangen sich um sie in sanften Linien und strebten um ihre nächste Nähe. Aber sie – schwermutsdurchdrungen und ermattet von einer unbefriedigten Sehnsucht – hatte keinen Blick für sie.

Stets nach unten waren ihre Blicke gesenkt, der Kopf nach unten geneigt, als fürchtete sie, von irgend einer Seite ein unerwartetes Aufleuchten, oder einen zudringlichen Strahl der Sonne in ihr verschlossenes Inneres, den sie um keinen Preis hätte ertragen mögen. – Ihre grossen Randblätter rollten sich, wurden langsam braun und welkten vorzeitig …

Neben ihr zwei dickhalsige Moosrosenknospen mit hellgrünen Blättern.

Der Tisch – worauf das Glas steht – weisser Marmor.

Hintergrund – goldbraun.

Dicht daneben gedämpfte Lampenbeleuchtung.

Schlummerten sie?

Schwerlich. Eher sah es aus, als stünden sie in Erwartung vor etwas Neuem, Unbekanntem, das an Märchen mahnte …


Aus einem hohen schmalen Bogenfenster gegenüber, dessen Flügel weit offen stehen, dunkeln unbestimmte grosse Baummassen entgegen und darüber erhebt sich der Himmel leicht bewölkt und mit halbverschleiertem Neumond.

Nun erhebt sich ein Säuseln. Anfangs sanft und mild, aber nach und nach stärker und wird zum heissen heimlichen Geflüster. Dann weht ein frischer, mutiger Luftzug durchs Fenster herein.

Er fährt gerade aus in die Richtung, wo die Rosen stehen, und berührt sie alle kühn, gleichsam kosend, dass die dicke Lichtflamme erschreckt aufflackert und zittert … dann bleibt es wieder still.


Fast hörbar fielen die schwarzroten Rosenblätter auf die weisse Marmorplatte.

Zuerst drei, vier, dann mehrere – zuletzt fast alle.

Aus dem Fallen derselben erdichtete die ringsum herrschende Stille ein Schicksal …

Empfohlene Zitierweise:
: Ruthenische Revue, Jahrgang 2.1904. Verlag der Ruthenischen Revue, Wien 1904, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:RuthenischeRevue1904SelectedPages.pdf/370&oldid=- (Version vom 10.9.2022)