Walther Kabel: Romanhaftes aus der Geschichte der Sparkassen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 7) | |
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dies geschehen, so hätte die Londoner Anstalt die inzwischen durch Zinsen und Zinseszinsen auf 78 Pfund angewachsene Einlage Borwells als ihr Eigentum betrachten können.
Die Regierung entschied, daß die Neureglung nur für zukünftige Spareinlagen Geltung habe. Mithin mußte die Londoner Anstalt wohl oder übel noch dreißig Jahre warten, bevor die erbberechtigten Nachkommen Thomas Borwells durch Zeitungsaufruf aufgefordert werden konnten, das bis zu einer Summe von 328 Pfund angewachsene Kapital nach urkundlichem Nachweis ihrer Ansprüche binnen sechs Monaten in Empfang zu nehmen, andernfalls es für verfallen erklärt werden würde.
Tatsächlich meldeten sich im Jahre 1872 Abkömmlinge jenes nach Amerika ausgewanderten Edward Borwell, die in dürftigsten Verhältnissen in New York lebten, und bekamen das Geld ausgezahlt. Vielleicht hätten die glücklichen Erben nie von der 6500 Mark betragenden Hinterlassenschaft Kenntnis erhalten, wenn damals nicht die Geschichte dieser vergessenen Spareinlage in sämtlichen Zeitungen der Kulturstaaten als Seltenheit mit voller Namensnennung der beteiligten Personen besprochen worden wäre.
Merkwürdiger noch liegt der Fall des Kaufmanns Ernst Hindersen, der am 14. April 1805 zunächst ohne seine Familie nach Hamburg gekommen war, wohin er seinen Wohnsitz verlegen wollte. Er mietete in der Kuxhavener Straße eine Wohnung und übergab am Vormittag des 16. April der Hamburger Sparkasse, für deren Sicherheit sich die bekanntesten Großkaufleute der Alsterstadt verbürgt hatten, sein gesamtes Barvermögen im Betrage von 12 670 Talern. Auf dem Heimwege von der Sparkasse kehrte Hindersen, ein stattlicher Vierziger, in einer Hafenkneipe ein und wurde von hier auf einen Dreimaster gelockt, wo er, nachdem man ihn betrunken gemacht hatte, ahnungslos eine Heuer unterzeichnete und sich dadurch als Matrose für eine Fahrt nach San Franzisko verpflichtete. Das Schiff ging, während Hindersen in der Steuermannskoje seinen Rausch ausschlief, in See, ohne daß es dem gepreßten Matrosen möglich war, seine Familie von seinem Schicksal zu benachrichtigen.
Walther Kabel: Romanhaftes aus der Geschichte der Sparkassen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 7). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1916, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Romanhaftes_aus_der_Geschichte_der_Sparkassen.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)