„Nein, wozu Begrabenes von den Toten auferwecken? Ich bin für sie tot, dort denkt niemand mehr daran, daß ich einst unter ihnen lebte! Niemand!“ wiederholte er traurig und mit einer gewissen Bitterkeit.
„Auch ich erinnere mich an niemand und an nichts mehr!“ versuchte er sich mit aller Macht einzureden, denn gerade in diesem Augenblicke erinnerte er sich an alles.
„Ein schreckliches Land und schreckliche Menschen!“ Er wehrte die Sehnsucht ab, die sein Herz schmerzhaft umkrampfte.
„Alles wegen dieser Juden!“ Er wurde ärgerlich. „Zum Teufel, wozu bin ich dort hingegangen! Dumme Sentimentalität!“ warf er sich ungeduldig vor, doch erst am Abend beim Essen vergaß er unter den feurigen Blicken Daisys alles. Daisy war schweigsam und wie von Melancholie umwoben, nur Bagh kroch alle Augenblicke zu seinen Füßen, legte seinen Kopf auf seine Kniee und schaute fast lieb mit seinen grünen Augen zu ihm auf.
„Ich stehe bei Bagh heute ganz besonders in Gnade!“
„Er weiß sehr gut, wer seine Liebe verdient,“ entgegnete Daisy und umfing ihn mit einem langen Blick, der ihn doch nicht sah.
„Höchstens, weil wir derselben Herrin dienen,“ sagte er leise.
„Nein, aber weil wir alle drei dem ‚Einzigen‘ dienen.“
Er hatte keine Zeit, um eine Erklärung zu bitten,
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/201&oldid=- (Version vom 1.8.2018)